Nachhaltiger werden
Erneuerbare Energie: Der neue Mix 2050
Für erneuerbare Energien war 2022 ein Jahr wichtiger Weichenstellungen. Der Krieg in der Ukraine machte die Suche nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen noch dringlicher; der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Produktion sauberer Energie erreichten neue Höchststände.1 Gleichzeitig wurden fossile Energien zuletzt mit rekordhohen 1 Billion US-Dollar2 subventioniert, während höhere Zinsen die Investitionsbereitschaft dämpfen. Ist die Energiewende noch auf Kurs? Und wie wird der erneuerbare Energiemix der Zukunft aussehen?
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
- Vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Jahres 2022 gab es bedeutende Fortschritte beim Ausbau der erneuerbaren Energien und Clean-Tech-Lösungen.
- Diese Dynamik dürfte durch förderliche gesetzgeberische Initiativen in den USA und Europa mit dem US Inflation Reduction Act und dem European Green Deal Industrial Plan nochmals beschleunigt werden.
- Wind und Solar werden Wasserkraft als wichtigste Energiequelle im Erneuerbaren-Mix ersetzen; bis 2050 wird der Anteil der erneuerbaren Energien am globalen Energiemix von aktuell 15–20% auf 60–80% anwachsen müssen.
- Voraussetzung für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien sind Investitionen in neue Lösungen und Basistechnologien in kritischen Bereichen wie wichtigen Materialien, Netzinfrastruktur und Massenspeicherung.
Im Jahr 2022, als fossile Brennstoffe für eine gesicherte, erschwingliche Energieversorgung unverzichtbar zu sein schienen, erreichten Ausbau und Produktion erneuerbarer Energien neue Rekordniveaus. Der Anteil erneuerbarer Energien an der neu installierten Stromerzeugungskapazität betrug über 80%3 (wobei Solar- und Windenergie den größten Anteil hatten, siehe Abbildung 1). Insgesamt betrug der Zubau im Vergleich zum Vorjahr 300 GW.4 In Anbetracht dieser Entwicklung schätzt die Internationale Energieagentur (IEA), dass 90% der weltweit neu installierten Leistung auf erneuerbare Energien entfallen werden.5 Auf Sicht der nächsten fünf Jahre würde das einen Zuwachs von 2.400 GW bedeuten – so viel wie der gesamte Kapazitätsausbau der letzten 20 Jahre. Außerdem prognostiziert die IEA, dass erneuerbare Energien bereits 2025 die wichtigste Stromquelle weltweit sein werden. Als Treiber des globalen Ökostrom-Booms sieht die IEA vor allem China, gefolgt von der Europäischen Union, Indien und den USA.
Angesichts dieser Fortschritte verwundert es etwas, dass die langfristigen Ziele und Prognosen unverändert sind.6 Damit ist die Welt immer noch nicht auf Kurs, das 1,5-Grad-Szenario des Pariser Abkommens zu erreichen.7 Dafür bedürfte es einer Verdreifachung der Erneuerbaren-Kapazität bis 2030 und einer Verzehnfachung bis 2050 (im Vergleich zum Referenzwert von 2021).8 Das entspräche einem Zubau von 8.000-10.000 GW bis 2030 und von über 20.000 GW bis 2050.
Abbildung 1: Aktuelle und prognostizierte Stromerzeugung aus erneuerbaren Energieträgern
*BECCS = Bioenergie mit CO2 -Abscheidung und -Speicherung. Quelle: IEA World Energy Outlook 2022 und Allianz Global Investors.
Erneuerbare Energien sind kostenmäßig wettbewerbsfähig, aber immer noch anfällig für Inflation
Abbildung 2: Energiegestehungskosten* (USD/MWh)
Stromgestehungskosten: der langfristige Abnahmepreis auf MWh-Basis, der erforderlich ist, um alle Projektkosten zu decken und die erforderliche Mindestverzinsung des Eigenkapitals zu erreichen, Bloomberg. Quelle: Bloomberg NEF und Allianz Global Investors.
Der Ausbau der Saubere-EnergieInfrastruktur wird zu einem hohen Bedarf an bestimmten Komponenten und Materialien führen und die Ereignisse des Jahres 2022 haben gezeigt, wie Lieferengpässe die Versorgung mit diesen Komponenten gefährden können. Diese Faktoren könnten nicht nur den Fortschritt bremsen, sondern auch stark inflationär wirken. Umso wichtiger ist eine schnellere und weiterreichende Umsetzung von Kreislaufwirtschaftsansätzen (vor allem in Bezug auf Elektroschrott), um die Ziele der Eindämmung des Klimawandels und Anpassung an seine Folgen zu erreichen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat erkannt, welche Herausforderungen die Inflation und wirtschaftliche Unsicherheiten für den Ausbau der erneuerbaren Energien darstellen.9
Schließlich ist da noch der strukturelle Faktor der natürlichen Schwankungen bei der Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien.10 Der Entkopplung von Stromerzeugung und Stromverbrauch muss mit Ausgleichsmaßnahmen begegnet werden, die zu zusätzlichen Kosten führen können. Bislang werden die Schwankungen bei der Stromeinspeisung hauptsächlich durch Erdgaskraftwerke ausgeglichen.
Die Massenspeicherung ist die Lösung, um einen kosteneffizienten Ausbau der erneuerbaren Energien zu gewährleisten, indem sie den Auswirkungen der Gaspreisinflation auf die Grenzkosten entgegenwirkt und das Wachstum der sauberen Energien von der steigenden Gasnachfrage in Reaktion auf die Schwankungen bei der Stromeinspeisung entkoppelt.
Die Industrieländer fördern den Ausbau der erneuerbaren Energien durch Subventionen und steuerliche Anreize. Beispiele sind der Inflation Reduction Act in den USA und der europäische Green Deal Industrial Plan. Die meisten Entwicklungsländer hingegen verfügen nicht über die gleichen fiskalpolitischen Instrumente.
Um dieses Ungleichgewicht zu adressieren, hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) einen Transfermechanismus vorgeschlagen, durch den die Industrieländer den Entwicklungsländern unter die Arme greifen würden. Abbildung 3 zeigt die Konzentration der weltweiten Erneuerbare-Energie-Kapazität.
Abbildung 3: Anteil primärer erneuerbarer Energie am Energiemix der Länder im Jahr 2021
Quelle: https://ourworldindata.org/renewable-energy#how-much-of-our-primary-energy-comes-from-renewables.
Wie sich der Erneuerbaren-Mix verändern wird
Die erneuerbaren Energien umfassen ein breites Spektrum von Energieträgern mit unterschiedlichem Reifegrad und unterschiedlichen Zukunftsperspektiven, Risiken und Chancen. Die Wasserkraft ist derzeit die drittgrößte Energiequelle der Welt und die bei weitem größte erneuerbare Energiequelle. Schätzungen von IRENA zufolge wird sie bis Ende 2022 37% der erneuerbaren Energien ausmachen, was 1.250 GW entspricht (Solar: 31%; Wind: 27%). Bis 2050 erwarten wir zwar ein leichtes Wachstum der Wasserkraft, aber einen starken Rückgang ihres Anteils am gesamten Energiemix sowie am Erneuerbaren-Mix. Stattdessen dürften Solar- und Windenergie künftig die wichtigsten erneuerbaren Energieträger sein – siehe Abbildung 4.
Unsere eigene Erneuerbare-Energie-Heatmap – Abbildung 5 – veranschaulicht die Ergebnisse einer Bewertung der wesentlichen Sensitivitäten und Risiken erneuerbarer Energien. Einige können kontraintuitiv sein, wie z.B. der Klimawandel, bei dem genau der Faktor, den die erneuerbaren Energien zu lösen versuchen, negative Auswirkungen auf ihre künftige Einführung haben kann. Es ist auch wichtig zu verstehen, inwieweit die künftige Entwicklung von Prozessen, Technologien und grundlegender Infrastruktur (Netzen und Netzanschlüssen) abhängt, die derzeit noch nicht existieren. Einige dieser Faktoren können in dem Maße politischen Schwankungen unterliegen, wie Fortschritte politisch getrieben sind (z.B. durch schnellere Genehmigungen).
Die Heatmap unterstreicht die Notwendigkeit fundierter Analysen und eines gezielten Engagements auf Seiten der Anleger, um die Risiken und Chancen der verschiedenen erneuerbaren Energieträger umfassend zu verstehen. Diese Faktoren werden in den Prognosen der internationalen Agenturen berücksichtigt, auch wenn sie mitunter weniger stark hervorgehoben werden und abstraktere Modelle verwendet werden (bspw. widmet IRENA dem Problem der kritischen Materialien in seinem World Energy Transition Outlook 202211 ein ganzes Kapitel, und auch die IEA12 adressiert diesen Punkt in ihrem Szenario „NettoNull-Emissionen bis 2050“).
Abbildung 4: Erwartetes Wachstum des Ausbaus der Erneuerbare-Energie-Kapazität
** Konzentrierende Photovoltaik = thermodynamische Solarenergie. Quelle: Allianz Global Investors, IEA, IRENA.
Rekordhohe Investitionen sind nicht genug
Die Investitionen in die Energiewende in Höhe von 1,3 Billionen US-Dollar13 im Jahr 2022 stellen zwar einen Rekord dar, bleiben aber deutlich hinter dem zurück, was erforderlich ist. IRENA schätzt, dass bis 2030 mindestens 35 Billionen US-Dollar investiert werden müssen, um das 1,5-Grad-Ziel14 zu erreichen – das bedeutet einen jährlichen Investitionsbedarf von über 5 Billionen US-Dollar15 weltweit. Für erneuerbare Energien entspricht das einem Anstieg der jährlichen Investitionen von 500 Milliarden USD auf 1–1,5 Billionen USD16. Der Rest (und der Großteil) der Investitionen in die Energiewende konzentriert sich auf Anpassungsmaßnahmen in der fossilen Energieerzeugung.
Neben einem größeren Investitionsumfang bedarf es auch einer höheren Reichweite der Investitionen. Die meisten Investitionen in erneuerbare Energien werden in Photovoltaik und Windkraft in den Schlüsselmärkten China, Europa und USA fließen. Wichtig ist jedoch, dass die Entwicklungsländer bei der Kapitalallokation künftig stärker berücksichtigt werden – auf Afrika entfiel im vergangenen Jahr lediglich 1% der weltweit neu installierten Erneuerbaren-Leistung.
Der private Sektor spielt hier eine wichtige Rolle. Angesichts der durch mehrere Krisen in Mitleidenschaft gezogenen Staatshaushalte und anhaltenden wirtschaftlichen Unsicherheit könnten sich die Regierungen schwer damit tun, diesen enormen Finanzierungsbedarf zu decken. Die Tiefe und Breite des privaten Sektors kann auch sicherstellen, dass genug Investitionen in die verschiedenen erneuerbaren Energiequellen weltweit fließen.
Abbildung 5: Künftiges Potenzial und Risiken der Energieträger gemessen an Schlüsselindikatoren
Piloting: Nachfrageorientierte Steuerung der Stromerzeugung.
Quelle: Allianz Global Investors, IEA, IRENA.
Auswirkungen des künftigen Erneuerbaren-Mix für Anleger
Die Lücke zwischen den derzeitigen Investitionen und dem tatsächlichen Investitionsbedarf ist beträchtlich, und die Erwartungen an öffentliche und private Investitionen sind hoch. Was ist die Antwort? Es gibt unterschiedliche Ansätze, mit denen Anleger einen Beitrag zu ausreichend hohen und breit gestreuten Investitionen leisten können:
Finanzierung erneuerbarer Energien: Anleger können über private Märkte direkt in Erneuerbaren-Projekte investieren oder die Aktien von Unternehmen kaufen, die ihre Erneuerbare-Energie-Infrastruktur stark ausbauen wollen.
Investitionen in grundlegende Infrastruktur: Auch hier sind Investitionen über private und öffentliche Märkte möglich, mit denen Anleger helfen können, die für den Ausbau der erneuerbaren Energien erforderliche Infrastruktur zu finanzieren – zum Beispiel Netzanschlüsse und Leitungen. Erwähnenswert ist auch das Potenzial für Investitionen in Private Equity, das in diesem Segment eine große Rolle spielt.14
Anlagen in die Wegbereiter der Energiewende: Abbildung 5 hebt die Bereiche mit einer besonders hohen Sensitivität hervor. Bedeutende potenzielle Anlagemöglichkeiten bieten sich zum Beispiel in folgenden Bereichen:
- Entwicklung von Großspeicherlösungen für Solarund Windenergie
- Netzanpassung
- Beschaffung kritischer Mineralien und Metalle – u.a. durch eine lokale, nachhaltigere Förderung, aber bedeutende Chancen könnten sich auch durch Kreislaufwirtschafts- und Elektroschrottlösungen eröffnen
Beobachtung der Reporting-Trends: Im vergangenen Jahr haben mehr Unternehmen über den Anteil erneuerbarer Energien an ihrem Gesamtenergieverbrauch und ihre diesbezüglichen Ziele berichtet und detailliertere Angaben zu ihren standort- und marktbezogenen Scope 2-Emissionen gemacht. Eine bessere Offenlegung wird vorteilhaft in Bezug auf wichtige Anforderungen an die Anlageberichterstattung wie „Anteil nachhaltiger Investitionen“15 und „Do No Significant Harm“17 sein. Gleichzeitig wird sie die Abstimmung von Aktivitäten mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN (SDGs) unterstützen18, insbesondere SDG 7 „Bezahlbare und saubere Energie“ sowie SDG 7.2 „Den Anteil erneuerbarer Energie am globalen Energiemix erhöhen“
Lesen Sie auch unseren Leitfaden zu Investitionen in die Energiewende:
https://www.allianzgi.com/en/home/insights/outlook-and-commentary/energy-transition-infographic
Erfahren Sie mehr über die Expertise und Aktivitäten von Allianz Global Investors im Erneuerbare-Energie-Sektor über Allianz Capital Partners:
https://www.allianzcapitalpartners.com/en/our-business/renewables
1 Rekordwachstum bei erneuerbaren Energien trotz Energiekrise (irena.org)
2 Subventionen für fossile Brennstoffe erreichen 2022 Rekordwerte
3 Renewable Capacity Statistics 2023 und die Highlights. (irena.org)des Berichts. (irena.org)
4 Rekordwachstum bei erneuerbaren Energien trotz Energiekrise (irena.org)
5 Der unerwartet schnelle Rückgang des Gasangebots (z.B. um 13% gegenüber dem Vorjahr in Europa) hat eine Rolle beim Ausbau der erneuerbaren Energien gespielt. Wichtigster Treiber des Wachstums von Solar- und Windenergie (sowie von Kohle, wobei der Fokus auf der Nutzung bestehender Vorräte und weniger auf einer Umstellung von Gas auf Kohle lag) waren aber die Angebotsdefizite bei der Wasser- und Kernkraft in Europa im Jahr 2022 (niedrigster Stand seit 2000).
6 Bislang wurden nur wenige Szenarien geringfügig aktualisiert, z.B. eine wurden die Parameter der BP-Prognose angepasst
7 United Nations Climate Change – The Paris Agreement
8 Renewable Capacity Statistics 2023
9 Neues Zeitalter der Energieinflation – Klimaflation, Fossilflation und Greenflation (europa.eu)
10 What is “Intermittency” in Renewable Energy? – EnergyX | Energy Exploration Technologies, Inc.
11 World Energy Transitions Outlook 2022
12 Net Zero by 2050
13-15 Investitionen in Höhe von 35 Billionen USD bis 2030 für erfolgreiche Energiewende nötig
16 Global landscape of renewable energy finance 2023
17 Gemäß der EU-Taxonomie dürfen nachhaltige Aktivitäten die Ziele anderer nachhaltiger Aktivitäten nicht erheblich beeinträchtigen.
18 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs)