Die jüngsten Ereignisse in Europa und ihre Auswirkungen auf Anlagemöglichkeiten im Energiesektor

04.04.2022
Windturbinen und Solarmodule mit Strommasten im Hintergrund

Zusammenfassung

Der Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine hat die Sicherheit in Europa destabilisiert, eine humanitäre Krise ausgelöst und die Märkte in Aufruhr versetzt. Derzeit importiert Europa die Hälfte seines Erdöl- und 30-40 % seines Erdgasbedarfs aus Russland. Die Invasion wirft also die Frage auf, mit welchem Energiemix Europa aktuell und langfristig verlässlich, erschwinglich und klimafreundlich mit Energie versorgt werden kann. An dieser Stelle wollen wir uns mit einigen Aspekten befassen, die für Anleger am Energiemarkt interessant sein dürften.

Zentrale Erkenntnisse

  • Die aktuelle Krise wird nicht nur für fossile Brennstoffe, sondern auch für erneuerbare Energien und den Klimaschutz Folgen haben
  • Bisher hat Europa bei weitem nicht genug in die Energieinfrastruktur investiert. Dieser Mangel muss behoben werden, denn sonst könnte Energie nachhaltig knapp werden
  • Wahrscheinlich wird der Verbrauch von fossilen Brennstoffen langsamer sinken. CO2-Abscheidung und Energiespeichertechnologien, Energieeffizienztechnologien und der lokale Abbau strategisch wichtiger Metalle und Mineralien bieten daher Chancen

In den vergangenen Jahrzehnten hat Europa eine beträchtliche Abhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas entwickelt. Die Invasion der Ukraine durch die russische Armee hat den Kontinent daher in eine schwierige Lage gebracht. Einerseits sind die Energiepreise in die Höhe geschnellt, andererseits wächst der Druck auf Europa, wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Daher wird wieder intensiver über den Energiemix in Europa, die Auswirkungen höherer Energiekosten und eine Beschleunigung der Energiewende diskutiert.  

  • Der Energiemix: Die Investitionen in die Energieinfrastruktur bleiben in Europa seit einiger Zeit hinter dem Energiebedarf zurück. Dieser Trend ist weltweit zu beobachten (Abbildungen 1 und 2). Insgesamt ist der Energieverbrauch in Europa seit 1990 gesunken. Der Anteil von Kohle, Erdöl und Erdgas am Gesamtenergieverbrauch hat sich seit 1990 von 84% auf 71% verringert, wobei der Anteil des Erdgasverbrauchs jedoch von 20% auf 26% gestiegen ist.
  • Auswirkungen steigender Kosten: Die Ereignisse in der Ukraine haben zu Verwerfungen entlang der Lieferketten geführt – und die Auswirkungen auf die Energiepreise sind bereits deutlich zu spüren. Beim derzeitigen Preisniveau ist es für viele Kraftwerke preiswerter, Kohle anstatt Gas zu verbrennen. Und neben den Kosten kommt noch ein anderer Aspekt ins Spiel: Wenn weniger russisches Gas verbraucht werden soll, muss gegebenenfalls mehr Kohle verheizt werden, um den Energiebedarf zu decken. Ein solches Vorgehen lässt sich allerdings kaum als nachhaltig bezeichnen. 
  • Investitionen in saubere Energien: Daher steigt der Druck auf die europäischen Regierungen, den Anteil sauberer Energien zu erhöhen und rascher auf umweltfreundliche Technologien umzusteigen. Außerdem stellt sich die Frage, welche Rolle Atomenergie langfristig im Energiemix spielen kann. Darüber hinaus sind Investitionen in CO2-Abscheidetechnologien geplant, um die langsamen Fortschritte bei der Reduzierung von CO2-Emissionen zu kompensieren. 

Pläne für eine Beschleunigung der Energiewende

Durch steigende Energiekosten wird das politisch ohnehin schon heikle Thema Energie noch komplizierter. Die Politik muss einerseits Energie kurzfristig erschwinglich halten und andererseits langfristig in alternative Energiequellen investieren. Die EU-Kommission hält es für möglich, die gefährliche, übermäßige Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland bereits deutlich früher als 2030 zu beenden. Dafür sind allerdings Maßnahmen an mehreren Stellen erforderlich.

  • Reklassifizierung der Atomenergie als „grün". Der Anteil der Atomkraft am europäischen Energiemix hat sich in den vergangenen 30 Jahren nur marginal auf 12,5% im Jahr 2019 erhöht. In einem Entwurf der EU-Kommission wird Atomenergie (ebenso wie Erdgas) in der EU-Taxonomie, also dem Klassifikationssystem für nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten, als „grün“ eingestuft. Ob Atomenergie allerdings tatsächlich als zentrale saubere Energiequelle akzeptiert wird (wobei das Abfallproblem ungelöst ist), ist fraglich, nachdem die russische Armee die Anlage in Saporischschja beschossen hat.
  • Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Europa scheint beim Ausbau erneuerbarer Energien auf einem guten Weg zu sein, muss aber angesichts der aktuellen Krise dabei noch schneller werden. Im Jahr 2020 hatten erneuerbare Energien insgesamt einen Anteil von 22,1% am europäischen Energiemix1, verglichen mit lediglich 4,3% im Jahr 19902. Bis 2030 bzw. 2050 will die Europäische Union den Anteil erneuerbarer Energien auf 32% bzw. 60% erhöhen.
  • In „saubere Technologien“ investieren. Wenn die CO2-Emissionen bis 2050 tatsächlich netto auf Null gesenkt werden sollen – ein ehrgeiziges Ziel –, müssen deutliche Fortschritte bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen, beim Einsatz von CO2-Abscheidung und bei der Energiespeicherung gemacht werden.

Was bedeutet dies für die Anleger?

Die Entwicklung von sauberen Technologien macht rasche Fortschritte – und dafür werden Investitionen benötigt

Schon bevor das Thema Energie wegen der Lage in der Ukraine hochaktuell wurde, spielten Investitionen in saubere Technologien eine wichtige Rolle im Umgang mit der Klimakrise. Unternehmen, die zum Klimaschutz beitragen oder die Anpassung an den Klimawandel erleichtern, könnten in hohem Maße von Europas Energiewende profitieren. Es handelt sich dabei um Unternehmen, die an sich rasch entwickelnden Technologien wie Energiespeicherung, grüner und blauer Wasserstoff und Netzwerktechnologie oder auch auf dem Gebiet bekannter erneuerbare Energien wie Solar- und Windenergie arbeiten.

 

Sinkende Verfügbarkeit von „seltenen Erden“ und anderen Rohstoffen

Die aktuelle Krise erschwert auch den Zugang zu wichtigen strategischen Metallen und Mineralien, die zur Produktion erneuerbarer Energien benötigt werden. Seltene Erden sind für die Nutzung von Windenergie unerlässlich, Magnesium ist ein wichtiger Bestandteil von Brennstoffzellen und wird auch für Wind- und Photovoltaik-Technologie benötigt, und Kobalt und natürlich vorkommender Grafit werden für Batterien und Brennstoffzelltechnologie gebraucht. Die EU importiert diese Metalle und Mineralien großenteils aus China und Russland. Angesichts der anhaltenden geopolitischen Spannungen lässt sich nicht darüber hinwegsehen, dass die Lieferungen unterbrochen werden könnten. Wenn die Preise für diese Rohstoffe steigen, könnten aber auch derzeit stillgelegte Bergwerke in anderen Ländern als Russland und China wieder in Betrieb genommen werden und profitabel arbeiten. Das wäre natürlich nur längerfristig möglich. Aber die Möglichkeiten für die Entwicklung erneuerbarer Energien könnten sich dadurch deutlich verbessern.

 

CO2-Abscheidetechnologien

Bei den AllianzGI Sustainability Days 2021 hielt auch Professor Johan Rockström, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (Deutschland) und einer der einflussreichsten Erdsystemwissenschaftler der Welt, einen Vortrag. Er betonte, wie wichtig Kohlenstoffsenken sind, um die Nettoemissionen tatsächlich auf null zu senken. (Als Kohlenstoffsenken werden natürliche oder menschengemachte Systeme bezeichnet, die CO2 binden und speichern.) Dementsprechend lohnt es sich gegebenenfalls, in CO2-Abscheidungs- und Speichertechnologien (CCUS) sowie Energiespeicherung zu investieren. Neuesten Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge:

  • hat sich die Zahl der CCUS-Anlagen von 2010 bis 2021 mehr als verdreifacht, so dass jetzt 43,7 Millionen Tonnen CO2 abgeschieden werden können
  • könnten die globalen CO2-Emissionen durch die Nachrüstung von CCUS im Stromsektor und in der Schwerindustrie bis 2050 um jährlich über 2 Gigatonnen gesenkt werden

Das Volumen des globalen CCUS-Markts wurde auf 1,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 geschätzt; bis 2030 könnte es auf 7 Milliarden US-Dollar ansteigen.

Die derzeitige Krise hat ins Blickfeld gerückt, welche Risiken in Bezug auf eine sichere und erschwingliche Energieversorgung und den Ausbau der erneuerbaren Energien bestehen. Gleichzeitig hat sie aufgezeigt, dass die Investitionen in die europäische – und globale – Energieinfrastruktur und in den Energiemix erhöht werden müssen. Dadurch ergeben sich zahlreiche und attraktive Chancen, von CO2-Abscheidung und Energiespeicherung über Technologien für Energieeffizienz bis hin zum Abbau strategisch bedeutsamer Metalle und Mineralien. Viele Lösungen sind bereits vorhanden, aber für einen Einsatz im großen Maßstab wird noch Kapital benötigt. Daraus ergeben sich beträchtliche Wachstumschancen.

Abbildung 1: Fossile Brennstoffe sind weltweit nach wie vor eine wichtige Energiequelle
Weltweiter Energieverbrauch nach Energiequellen und reales BIP (1990 – 2019) Abbildung 1: Fossile Brennstoffe sind weltweit nach wie vor eine wichtige Energiequelle

Quelle: IEA, Weltbank; Stand der Daten: 2019.

Abbildung 2: Europa ist in höherem Maße von Erdgas abhängig als vor 30 Jahren; der Gesamtenergieverbrauch ist gesunken
Energieverbrauch in Europa nach Energiequellen und reales BIP (1990 – 2019)Abbildung 2: Europa ist in höherem Maße von Erdgas abhängig als vor 30 Jahren

Quelle: IEA, Weltbank; Stand der Daten: 2019.

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1. Quelle: EEA. Stand März 2022.
2. Quelle: IEA World Bank. Stand März 2022.

 

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Quelle: Allianz Global Investors, März 2022.

 

2078504

Im volatilen aktuellen Marktumfeld wird Diversifikation allein vielleicht nicht ausreichen

von | 29.04.2022
Barchart - volatiles Marktumfeld

Zusammenfassung

Die erste Hälfte des Jahres 2022 war für die Anleger eine schwierige Zeit, da der Einmarsch in der Ukraine zu einem ohnehin schon volatilen Jahresbeginn hinzukam. Die russische Invasion hat die ohnehin schon stark schwankenden Märkte noch weiter verunsichert, die Inflation verschärft und den sich seit einiger Zeit abzeichnenden Trend zur Deglobalisierung beschleunigt. In diesem Umfeld könnten Anleger mit neuen Instrumenten besser fahren als mit traditionellen Ansätzen, die ihnen in früheren turbulenten Phasen vielleicht gute Dienste geleistet haben.

Zentrale Erkenntnisse

  • Die Anleger sehen sich mit unvorhersehbaren Aussichten konfrontiert, da Sorgen über Inflation und Lieferketten die Volatilität der Märkte anheizen; die Unsicherheiten wurden durch die Wirtschaftssanktionen gegen Russland und die globale Geldpolitik noch verstärkt.
  • Die Abkehr von der Globalisierung wirkt ebenfalls inflationär, insbesondere da die Produktion an weniger effiziente Standorte verlagert wird, die Lagerbestände zunehmen und die Arbeitskosten steigen.
  • In diesem Umfeld können die Risikostreuung über verschiedene Anlageklassen und Diversifikation innerhalb von Anlageklassen nicht mehr ausreichend sein; für Anleger könnte es an der Zeit sein, bestehende Positionen anzupassen und neue Ansätze zu verfolgen.
  • Im aktuellen Umfeld könnte sich eine Kombination von Rohstoffen mit anderen Sachwerten zur Stabilisierung des Portfolios anbieten; eine weitere Option ist die Vereinnahmung von Risikoprämien, um zusätzliche Erträge zu generieren.
  • Weitere Ideen: Die Spreads für US-Hochzinsanleihen erscheinen attraktiv; bestimmte Technologieunternehmen sollten vom „digitalen Darwinismus“ profitieren, und die Umstellung auf eine Netto-Null-Emissionen-Wirtschaft sollte nachhaltige Investitionen fördern.

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