Update Magazine II/2022
„Dramatische Herausforderungen“
Ob Inflation oder gestörte internationale Lieferketten – es sind Herausforderungen, wie sie die meisten Anleger treffen. Stiftungen mit ihrem Gebot des Kapitalerhalts stehen deswegen vor einer Zeitenwende. Ein Gespräch mit Matthias Schmolz vom Deutschen Stiftungszentrum über Nachhaltigkeit als vierte Komponente der Vermögensanlage und über die Inflation als nur eine von vielen Herausforderungen für Stiftungen. Und darüber, was die Politik leisten könnte.
In einer Ihrer Veranstaltungen wurden Stiftungen als „Akteure des Wandels“ bezeichnet. Gilt das auch in Sachen Nachhaltigkeit? Und wie lässt sich das mit Leben aufladen?
Matthias Schmolz: Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die auch als SDGs bekannt sind, geben uns allen eine gute Richtschnur für nachhaltiges Handeln. Wie viele andere Organisationen in Wirtschaft und Gesellschaft leisten auch Stiftungen wichtige Beiträge zur Umsetzung der Agenda 2030 mit ihren 17 Entwicklungszielen. Dabei sind sie gefordert, sich nicht nur auf ihre unmittelbaren Förderbereiche zu konzentrieren, sondern ein nachhaltiges Handeln konsequent und kontinuierlich bei allen ihren Aktivitäten mitzudenken und umzusetzen – das gelingt unserer Erfahrung nach schon sehr gut.
Die Anlage des Stiftungskapitals bietet einen zusätzlichen Hebel, um das Thema „Nachhaltigkeit“ mit Leben aufzuladen. Nachhaltige Vermögensanlage ist im Stiftungswesen weit verbreitet – und das sogar schon länger. Neu ist, dass der Gesetzgeber Richtlinien zur Nachhaltigkeit für Finanzinstitute und Anleger, folglich auch für Stiftungen, formuliert hat. Stiftungen werden zukünftig noch stärker Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. Der Stifterverband hat diesen Weg bereits zu Jahresbeginn 2020 für die von ihm betreuten Stiftungen eingeschlagen. Wir erwarten, dass zu dem magischen Dreieck der Vermögensanlage (Sicherheit, Liquidität und Rentabilität) eine vierte Komponente „Nachhaltigkeit“ hinzukommt. Der Stifterverband ist überzeugt, dass Nachhaltigkeit und Gemeinnützigkeit sich sehr gut ergänzen und dass Stiftungen den Wandel weiter begleiten und unterstützen werden.
Stiftungskapital? „Ein zusätzlicher Hebel, um das Thema ,Nachhaltigkeit‘ mit Leben aufzuladen.“
Wie „nachhaltig“ ist die Zukunft der Stiftungen?
Matthias Schmolz: Stiftungen sind für die Ewigkeit angelegt. Ihre Weitsicht ist per se ein Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung. Stiftungen können mit ruhiger Hand und langem Atem arbeiten, Erfahrungen sammeln, Förderprogramme und Projekte entwickeln und durchführen, sie evaluieren und – falls erforderlich – modifizieren. In ihrem Fokus steht zudem nicht eine kurzfristige Maximalrendite. Stiftungen streben vielmehr nach einer sinnhaften und werteverbundenen Vermögensanlage. Auf diese Weise sind sie gut gerüstet, um auch durch schwierige Zeiten zu kommen und Herausforderungen zu meistern – auch in der Zukunft.
Hinzu kommt, dass neben der „klassischen“ Stiftung weitere Stiftungsformen – wie etwa die Verbrauchsstiftung oder die Hybridstiftung – das Stiftungshandeln insgesamt flexibler machen. Diese verschiedenen Möglichkeiten, das eigene Engagement zu gestalten, tragen sicher auch zu einer nachhaltigen Zukunft von Stiftungen bei.
Blicken wir kurz auf die Aufgabe, das Kapital der Stiftungen zu mehren und zu erhalten. Was ist die derzeit größte Herausforderung – Inflation?
Matthias Schmolz: Aktuell haben wir gleich mehrere dramatische Herausforderungen, weil die Folgen des Kriegs in der Ukraine leider auch an den Stiftungsvermögen nicht spurlos vorübergehen: Die stark steigenden Energie- und Rohstoffpreise, ein möglicher Gasnotstand, die Störung internationaler Lieferketten, die Inflation, eine ungewisse CoronaSituation – alles beeinflusst natürlich in hohem Maße die Finanzmärkte und damit auch die Vermögensanlage der Stiftungen. Wir leben in unruhigen, ungewissen Zeiten, die auch bei Stiftungen für Verunsicherung sorgen und mit Blick auf das Vermögen durchaus schmerzhaft sein können. Der Kapitalerhalt des Stiftungsvermögens scheint aktuell für viele gefährdet. Dies zeigt, dass Inflation nicht das einzige Problem ist. Das von der Politik benutzte Wort der „Zeitenwende“ trifft unseres Erachtens auch auf die Kapitalanlage zu. Stiftungen sollten ihre Anlagerichtlinien zur Vermögensanlage überdenken. Ziel muss sein, Handlungsspielräume und Risikobereitschaft zu erhöhen, um verstärkt an den überdurchschnittlichen Wertzuwächsen von Sachinvestments wie beispielsweise Aktien zu partizipieren, aber auch kapitalmarktbedingte Schwankungen besser aushalten zu können. Wenn dann noch Nachhaltigkeit als Baustein der Vermögensanlage hinzukommt, schließt sich der Kreis. Ein nachhaltig wirtschaftendes beziehungsweise ausgerichtetes Unternehmen sollte sich vergleichsweise besser entwickeln.
Inwieweit erschwert die hohe Inflation die Erfüllung des Stiftungszwecks auf der einen Seite und den Erhalt des Kapitals auf der anderen Seite?
Matthias Schmolz: Die hohe Inflation führt kurzfristig dazu, dass die Anlage in festverzinslichen Wertpapieren zu einer negativen Realverzinsung führt. Eine Kompensation durch eine Aktienanlage ist aktuell nicht gegeben, weil der Krieg in der Ukraine zu Kursverlusten führt. Mittel- bis längerfristig sollte sich die Situation entspannen, weil etwa die europäische Notenbank EZB ein Inflationsziel um zwei Prozent anstrebt und Aktien einen Inflationsausgleich erwirtschaften sollten. Kurzfristig ist – vor dem Hintergrund hoher Inflationszahlen – ein Kapitalerhalt stark gefährdet. Mittel- bis längerfristig sollte – eine erfolgreiche Geldpolitik der Notenbanken unterstellt – der reale Kapitalerhalt mit einer breit gestreuten und auf Sachwerte fokussierten Anlagepolitik möglich sein.
Die Auswirkungen einer hohen Inflationsrate hängen von den Strukturen und Förderzwecken einer Stiftung ab. Stiftungen mit einer Geschäftsstelle werden mit steigenden Energie- und Personalkosten konfrontiert, was das Fördervolumen schmälert. Eine Projektfinanzierung oder institutionelle Förderungen werden teurer, weil Sach- und/oder Personalkosten steigen. Eine gewisse Entspannung könnte durch die Vermögensanlage eintreten, weil zukünftig höher rentierliche festverzinsliche Wertpapiere verfügbar sind, die zu höheren Ausschüttungsrenditen aus der Vermögensanlage führen.
Macht das angepasste Stiftungsrecht die Arbeit leichter, gerade mit Blick auf die Vermögensanlage?
Matthias Schmolz: Die Stiftungsrechtsreform bringt zunächst einmal eine begrüßenswerte bundesweite Vereinheitlichung des Stiftungsrechts mit sich. Im Hinblick auf den Umgang mit Stiftungsvermögen sind dort zukünftig auch Vorteile und Erleichterungen gerade für Stiftungen, die neu errichtet werden, zu erwarten. So bietet die Möglichkeit, bei Errichtung einer Stiftung hybride Vermögensanteile zu definieren (also zwischen zu erhaltendem und verbrauchbarem Vermögen zu wählen), eine flexiblere Finanzierungsstruktur, die die Stiftungen heute mehr denn je benötigen.
Auch die Regelung zur Verwendung von Umschichtungsgewinnen – entweder für das Stiftungsvermögen oder für die Stiftungsmittel, sofern keine gegenteilige Festlegung in der Satzung erfolgt ist – stellt einen großen Mehrwert für Stiftungen dar. Die Nachbesserung dieser Regelung im Gesetzestext konnte im Übrigen durch erfolgreiche Intervention des Dritten Sektors (das weite Spektrum nicht gewinnorientierter Organisationen abseits von Staat und Unternehmen; Anmerkung der Redaktion), unter anderem auch des Stifterverbandes und des Deutschen Stiftungszentrums, erreicht werden. Letztlich sind auch die gesetzliche Verankerung der Business Judgement Rule als Haftungserleichterung für Stiftungsverantwortliche sowie vereinfachte und vereinheitlichte Anforderungen an die Zulegung oder die Umwandlung in den Verbrauch von Stiftungen mit kleinerem Vermögen insgesamt zu begrüßen.
„Mehrwert für Stiftungen“
Reicht Ihnen die politische Rückendeckung – wieder mit Blick gerade auf die Vermögensanlage?
Matthias Schmolz: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Stiftungen nicht im Fokus von Politik und Finanzinstituten stehen. Viele Gesetze und Durchführungsverordnungen berücksichtigen die Bedürfnisse von Stiftungen zu wenig oder gar nicht; die Stiftungsarbeit wird eher erschwert oder belastet. Das führt zu einem erhöhten Arbeitsaufwand oder zu erhöhten Kosten, die letztlich das Fördervolumen einer Stiftung schmälern. Vielfach ist der einzige Ausweg, auf Dienstleister wie etwa das Deutsche Stiftungszentrum zurückzugreifen, weil diese die notwendige Expertise oder Größe aufweisen und (kosten-)effiziente Lösungen anbieten können.
Um immer wieder auf die besonderen Bedürfnisse von Stiftungen und die Belange von Stifterinnen und Stiftern hinzuweisen, engagieren wir uns vielfältig. So haben wir uns etwa meinungsstark in den Reformprozess des Stiftungsrechts eingebracht oder engagieren uns im Bündnis für Gemeinnützigkeit, einem Zusammenschluss von großen Dachverbänden und unabhängigen Organisationen des Dritten Sektors sowie von Experten und Wissenschaftlern. Unser Ziel bei allen diesen Aktivitäten ist es, die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern – auch mit Blick auf die Politik.
„Mittel- bis längerfristig sollte der reale Kapitalerhalt mit einer breit gestreuten und auf Sachwerte fokussierten Anlagepolitik möglich sein.“