Update Magazin I/2023
Die Macht der Entwicklung wird bislang unterschätzt
Ein Gespräch mit dem Zukunftsstrategen Pero Mićić über künstliche Intelligenz, die Renaissance und die Rolle des Menschen. Professor Dr. Pero Mićić ist Gründer und Vorstand des Beratungshauses FutureManagementGroup AG.
Wenn man in langen Zeiträumen denkt – was ist der meistunterschätzte Effekt?
Pero Mićić: Bis vor Kurzem war es so, dass die Entwicklungen in Sachen künstlicher Intelligenz (KI) unterschätzt wurden. Es gab auch Phasen wie den KI-Winter – Zeiten also, in denen Forschungsprojekte auf Eis gelegt wurden. Doch seit dem 30. November vergangenen Jahres, Stichwort ChatGPT, ist das anders. Wenn KI und ihre Macht jetzt noch unterschätzt werden, dann nur, weil man sich nicht vorstellen kann, was das alles bedeutet und mit sich bringt.
Und heute ...
Mićić: Schon heute oder zumindest bald kann KI alles das, was ein Mensch bei einer Spezialaufgabe kognitiv tun kann, besser als der Mensch. Und etwas weitergedacht: Robotics kann heute schon alles, was der Mensch physisch tun kann, besser. Alles, was den Menschen ausmacht, ändert sich gerade drastisch. Wir haben die Welt mit unserem natürlichen Gehirn geschaffen und bekommen nun ein zusätzliches künstliches Gehirn. Das erweitert unsere Fähigkeiten in unvorstellbarem Maße.
Lassen Sie uns zehn, zwanzig Jahre in die Zukunft schauen: Wie sehr wird sich die Finanzindustrie, werden sich Asset-Manager dadurch verändert haben?
Mićić: Ich bin nun kein Insider, aber folgender Gedanke dazu: KI bekommt Stimme und Gesicht. Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch – Kunde oder Anleger – einen oder mehrere KI-Begleiter haben wird. Und diese Begleiter lernen alles, was diesen Menschen ausmacht. Was er mag oder nicht mag, sucht oder nicht sucht. Aber auch jeder Anbieter, etwa in der Finanzindustrie, wird so einen Begleiter haben. Das wird die Interaktion intelligenter machen. Die KI-Begleiter werden sich miteinander unterhalten. Und es wird drastisch erweitern, was ein Asset-Manager wissen kann.
Bedeutet das auch mehr automatisiertes Investieren?
Mićić: Vermutlich ja. Auch besseres Investieren? Da bin ich skeptisch, das dachten wir früher schon mit Blick auf Algorithmen.
Die Finanzindustrie ist stark reguliert. Inwieweit hat das Folgen für diese Veränderungen?
Mićić: Es gibt in meinen Augen vier Hemmnisse für technologische Entwicklungen, das sind die vier Gs. Zum einen die Gefühle. Man sagt auch, „es“ entscheidet sich, dass Sie etwas nicht mögen. Und dann erst suchen wir einen Grund. E-Autos zum Beispiel, weil man den Tankstellenduft mag.
Dann sind da Gewohnheiten: Unser Gehirn nutzt Gewohnheiten, um Komplexität zu senken. Bleiben wir beim E-Auto: Die Gewohnheit vermittelt zum Beispiel die Einschätzung, dass man zum Aufladen immer irgendwo hingehen müsse. Dass es auch anders geht, ist schwer zu vermitteln. Gesetze wiederum sind Gewohnheiten und Gefühle in Rechtsnormen gegossen, zumindest oft. Das bremst, aber etwas so kraftvolles wie KI müssen wir auch regulieren.
Zu guter Letzt bleibt das Geld als viertes G. Da Geld nun einmal mit dem Alten verdient wird, wird das Geld des Alten auch verwendet, um das Neue zu verhindern. Das klingt sperrig, aber ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir zahlen weltweit laut IWF 5,9 Billionen Dollar als Subvention für Kohle, Gas und Öl.1 Wir halten daran fest, obwohl wir die damit verbundenen Probleme kennen. Also ein weiteres G, das die Entwicklung verlangsamt. Immerhin hat das Ausbremsen auch eine positive Seite, weil wir viele Menschen sonst überfordern.
Und wie würde ChatGPT antworten?
(Die Antwort auf die Frage ist KI-generiert.)
Führt der Einsatz von künstlicher Intelligenz zu besseren Anlageergebnissen?
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) kann in einigen Fällen zu besseren Anlageergebnissen führen. KI-Algorithmen können große Datenmengen schnell analysieren und Muster und Trends erkennen, die von menschlichen Analysten möglicherweise übersehen werden. Darüber hinaus können KI-Systeme in der Lage sein, aufgrund ihrer Fähigkeit zur kontinuierlichen Überwachung und Anpassung, schnell auf sich ändernde Marktbedingungen zu reagieren.
Jedoch ist es wichtig zu beachten, dass der Einsatz von KI nicht immer zu besseren Anlageergebnissen führt. KI-Systeme können auch durch Fehlkonfigurationen oder mangelnde Datenqualität beeinträchtigt werden. Darüber hinaus kann es sein, dass KI-Systeme Entscheidungen treffen, die nicht immer leicht nachvollziehbar oder erklärbar sind, was zu Unsicherheit und Vertrauensproblemen führen kann.
Welche Rolle spielt der demografische Wandel bei dieser Verschiebung?
Mićić: Eine gewichtige: Unsere Biochemie im Kopf sorgt nämlich dafür, dass wir im Alter vorsichtiger werden, konservativer. Freilich, manche Menschen erhalten sich die Lust auf Neues bis ins hohe Alter. Aber im Durchschnitt geht es eher hin zum Bewahrenden. Das bringt aber in der Summe ein Problem mit sich. Jemand, der nicht mitgemacht hat, jemand, der sich hat abkoppeln lassen, der ist so weit weg vom Stand der Technik, von dem, was möglich ist, wie es noch nie der Fall war.
Wie verändert sich angesichts dessen die Bedeutung des Vertrauens der Anleger?
Mićić: In einer komplexen Welt suchen Menschen nach einer Reduktion der Komplexität. Was man sich idealerweise wünscht, ist der Finanzfreund. Jemand, dem man vertraut, an den man es delegiert, sich um das Vermögen zu kümmern. Wer dieses Vertrauen gewinnt, hat in der Regel auch ein gutes Geschäft gewonnen. Einfach ist das aber nicht, immerhin vereinfacht Technologie auch den Vergleich. Und wenn Fondsmanager oder Analysten bei Rankings und Vergleichen „unter ferner liefen“ zu finden sind, ist das nicht vertrauensstiftend.
Wie sehr wird „Tech“ die Arbeit der Fondsmanager verändern?
Mićić: Die Grundthese lautet: KI macht uns produktiver und kreativer. Daher werden die Menschen und Unternehmen, die KI-Werkzeuge einsetzen können, auch als Fondsmanager erfolgreicher sein. Diejenigen, die das nicht können oder wollen, werden andere Berufe haben müssen. Es wird also nicht der Fondsmanager als solcher ersetzt werden, sondern jene, die sich der Werkzeuge nicht bedienen wollen. Vielleicht wird auch die Zahl sinken.
Ist die Zukunft automatisch technologiegetrieben?
Mićić: Ja. Und das ist sie deshalb, weil Technologie inzwischen der Veränderungstreiber ist. Das war nicht immer so. Früher haben Ideen die Welt verändert – die Renaissance etwa, die Aufklärung oder auch der Sozialismus. Aber immer mehr verändert Technologie die Welt schneller als es der Mensch selbst tun würde. Deshalb ist Technologie so wichtig – und der Wille, sie zu verstehen.
1 DIW, „Schluss mit den gigantischen Subventionen (…)“, November 2021.