Update Magazin I/2023
„Nachhaltig über unseren Werkzaun hinaus aktiv“
Wenn es darum geht, nachhaltiger zu werden, lohnt der Blick über den eigenen Tellerrand. Ein Gespräch mit Annette Wagner. Sie verantwortet bei Bosch die Themenbereiche Nachhaltigkeit und Ideenschmiede.
Auf Ihrer Visitenkarte steht „Leitung Nachhaltigkeit und Ideenschmiede“. Was verbirgt sich dahinter, was ist die Ideenschmiede?
Annette Wagner: Boschs Leitmotiv ist „Technik fürs Leben“. Der Bereich Nachhaltigkeit und EHS (Environment, Health, Safety), wie er heute existiert, ist aus einer klassischen Arbeits- und Umweltschutzabteilung gewachsen, die ihren Fokus risikobasiert gesetzt hat. In unserer Ideenschmiede wollen wir die Chancen der Nachhaltigkeit für Bosch und somit für die Umwelt und die Gesellschaft herausarbeiten. Dazu gehen wir neue Wege, setzen uns ambitionierte Ziele und binden auch die Beschäftigten bei Bosch verstärkt in unser Nachhaltigkeitsengagement ein.
Sie sind damit so etwas wie das nachhaltige Gewissen des Unternehmens?
Annette Wagner: Das ist ein großes Wort. Ich glaube, Nachhaltigkeit kann nur funktionieren, wenn viele an einem Strang ziehen. Wir sehen das bei der CO2-Neutralstellung an unseren 400 Standorten weltweit für Scope 1 und 2 (Kategorien für Emissionen). Das funktioniert über vier Hebel: Energieeffizienz, regenerative Eigenerzeugung, Grünstrom und – wo die anderen drei Hebel ausgeschöpft sind – Kompensationsmaßnahmen. Doch am Ende ist es ein schlankes Team in der Zentrale, das Konzepte entwirft, das Policy Deployment entwickelt und das Reporting sicherstellt. Geschafft haben wir das aber letztendlich nur mit der Kraft der gesamten Mannschaft in den Werken, die Energieeffizienzmaßnahmen umsetzen oder auf Grünstromverträge umstellen. Ich glaube auch, dass mit der neuen Gesetzgebung wie der Corporate-Sustainability-Direktive und der Taxonomie das Thema Nachhaltigkeit sich von einem Hype zu einem Kernthema für Unternehmen entwickelt, bei dem viele Bereiche über Nachhaltigkeit, Finanzen, Einkauf und Personal nur gemeinsam erfolgreich sein können.
Seit wann spielt Nachhaltigkeit bei Ihnen eine Rolle?
Annette Wagner: Schon unserem Unternehmensgründer Robert Bosch war nachhaltiges Handeln in der Unternehmensführung wichtig. Dieser Anspruch hat sich im Unternehmen auch nach seinem Tod weiter durchgesetzt. Bereits 1996 verabschiedete die Unternehmensführung zehn Grundsätze zum Umweltschutz, die ein gleichrangiges Ziel neben der Qualität der Erzeugnisse und der Wirtschaftlichkeit wurden. 1998 wurde der erste Umweltbericht veröffentlicht. Heute umfasst unsere Nachhaltigkeitsstrategie neben dem Themenfeld Klimaschutz auch die Aspekte Gesundheit, Menschenrechte, Wasser, Kreislaufwirtschaft und Vielfalt.
Was ist dabei die größte Herausforderung?
Annette Wagner: Trotz der hohen Komplexität den Überblick nicht zu verlieren. Das Thema Nachhaltigkeit hat sich in den letzten vier Jahren rasant entwickelt – und das zum einen auf der regulatorischen Ebene, wenn ich beispielsweise an das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland denke oder die oben schon angesprochenen geplanten Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf EU-Ebene. Aber auch auf der inhaltlichen Seite reicht heute eine Betrachtung der eigenen Werkstätigkeit nicht mehr aus. Das heißt bei Bosch, dass wir mit unserem Nachhaltigkeitsmanagement, sei es in den Themenfeldern „Klimaschutz“, „Menschenrechte“ oder „Kreislaufwirtschaft“, immer auch unsere über 24.000 Lieferanten und unsere breite Produktpalette mit in die Betrachtung einbeziehen. Wir sind also nachhaltig über unseren Werkzaun hinaus aktiv.
Nachhaltigkeit ist ein weiter Begriff. Wie messen Sie bei Bosch Nachhaltigkeit?
Annette Wagner: Wir verstehen bei Bosch unter Nachhaltigkeit die Balance zwischen den ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimensionen unserer Geschäftstätigkeit als Teil einer verantwortungsvollen Unternehmensführung. In unserem Zielbild „New Dimensions Sustainability 2025“ haben wir sechs Themenfelder identifiziert, auf denen unsere Strategien aufbauen: Klimaschutz, Wasser, Kreislaufwirtschaft, Vielfalt, Menschenrechte und Gesundheit. Dort haben wir jeweils Ziele und KPIs entwickelt, die wir tracken und über die wir in unserem Nachhaltigkeitsbericht und auf unserer Website informieren.
Lange hatte Nachhaltigkeit etwas Binäres: Etwas war nachhaltig oder eben nicht. Nun geht es um Prozesse, den Weg. Wie halten Sie Nachhaltigkeit in der unternehmerischen Praxis nach? Wie nehmen Sie die Mitarbeiter mit und wie Zulieferer?
Annette Wagner: Es gilt, die Menschen im Unternehmen mitzunehmen und einzubeziehen. Denn ihr Verhalten prägt unsere Kultur, ihr Wissen, ihr Engagement und ihre Kreativität bringen Bosch weiter. Kurz: Es sind die Menschen bei Bosch, die aus abstrakten Zielen messbare Erfolge machen. Um dieses Potenzial zu aktivieren, setzen wir gezielt Impulse – vom konzernweiten „Sustainability and EHS Award“, mit dem wir seit vielen Jahren die Nachhaltigkeitsleistung von Teams an unseren Standorten auszeichnen, bis hin zur Kampagne „Green Heroes“, bei der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren eigenen Weg für mehr Nachhaltigkeit einbringen konnten. Weltweit entstand so eine Vielzahl von Aktivitäten, mit einer überwältigenden Resonanz im Unternehmen.
Ohne die Mitwirkung unserer Lieferanten lassen sich unsere ambitionierten Ziele nicht erreichen. Klima- und Umweltschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe – und davon wollen wir auch unsere Zulieferer überzeugen. Wir berücksichtigen bereits CO2-Emissionen und entsprechende Aktivitäten zum Klimaschutz verstärkt bei der Vergabe von Ausschreibungen. Dazu haben wir im Jahr 2021 Vergabekonzepte entwickelt und in allen dafür wesentlichen Geschäftsbereichen über einen Zeitraum von zwei Jahren umfassend pilotiert. Zudem wollen wir 2022 ausgewählte Lieferanten vertraglich zum Beitritt zur Science Based Targets initiative (SBTi) verpflichten. Wir wissen um die Bedeutung dieser Schritte für unsere Lieferanten und haben sie seit 2020 regelmäßig auf unsere Aktivitäten hingewiesen, verbunden mit dem Ziel, sie zu eigenen Klimaschutzaktivitäten zu motivieren.
Wie wichtig sind Daten dabei?
Annette Wagner: Ohne Daten gibt es keine Grundlage, um sinnvolle Strategien zu erarbeiten. Zudem wäre es uns nicht möglich, unsere Entwicklung transparent darzustellen, wie wir es in unserem Nachhaltigkeitsbericht tun. Deshalb ist unser Partnerteam damit beschäftigt, alle Daten von 400 Standorten weltweit zu erfassen und zu prüfen, von CO2 über Wasser bis hin zur Arbeitssicherheit. Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive wird die Wichtigkeit dieser Aufgabe noch weiter wachsen, da zukünftig an Nachhaltigkeitskennzahlen die gleichen Anforderungen gestellt werden wie heute schon an Finanzkennzahlen.
Mit Greentech ergeben sich für uns Geschäftschancen in Form neuer Produkte und Dienstleistungen.
Ihr Vorstand Dr. Stefan Hartung sagte einmal: Mit der richtigen Strategie gingen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand. Welche Strategie ist das?
Annette Wagner: Mit Greentech ergeben sich für uns Geschäftschancen in Form neuer Produkte und Dienstleistungen. Wir treiben die Entwicklung und Anwendung unterschiedlichster Technologien voran. So sind wir beispielsweise vom Energieträger Wasserstoff überzeugt und investieren in Technologien wie „Hydrogen-ready“-Kessel sowie stationäre und mobile Brennstoffzellen. Mit unseren Fortschritten in diesen Bereichen unterstützen wir die Nachhaltigkeit zu Hause und in der Mobilität.
Wie hat sich das Verhalten der Investoren mit Blick auf Nachhaltigkeit verändert? Sprich, wird das Thema Nachhaltigkeit nachgefragt, wird nachgefasst?
Annette Wagner: Internationale Investoren mit globalen Anlageportfolios fordern zunehmend eine qualitativ hochwertige, transparente, zuverlässige und vergleichbare Berichterstattung von Unternehmen zu Klima- und anderen Umwelt-, Sozialund Governance-Themen (ESG).
Wir sehen zudem, dass viele Nachhaltigkeitsratings von den großen Ratinggesellschaften integriert wurden, denken wir beispielsweise an die Deutsche Börse und ISS ESG oder Morningstar und Sustainalytics. Waren früher klassische Unternehmensratings und ESG-Ratings strikt getrennt, so sehen wir, dass nun auch die Akteure auf dem Finanzmarkt unsere Leistungen im Nachhaltigkeitsbereich unter die Lupe nehmen.
Mit den Veröffentlichungen zur Taxonomie werden wir eine weitere Stufe der Transparenz erreichen – spannend bleibt zu sehen, wie der Finanzmarkt diese Informationen aufgreift.
Lassen Sie uns in die Zukunft schauen: Wird der Begriff der Nachhaltigkeit in zehn Jahren der gleiche sein wie heute?
Annette Wagner: Der Begriff wird der gleiche sein. Die Auslegung wird noch weiter von der eigenen Unternehmung, zu den direkten Lieferanten hin auf die gesamte Lieferkette erfolgen, das sehen wir in den Entwürfen zum europäischen Lieferkettengesetz. Und die Ernsthaftigkeit wird zugenommen haben: Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung werden auf Augenhöhe angekommen sein und der Wert eines Unternehmens nicht mehr nur allein nach finanziellen Kennzahlen bewertet werden.