Innovation und höhere Produktivität sind nicht dasselbe. Implikationen für Wachstum und Aktienmärkte.

von | 26.03.2018
Innovation und höhere Produktivität sind nicht dasselbe

Zusammenfassung

Die Wachstumsraten für Produktivität sind laut offiziellen Statistiken seit Jahren rückläufig. Dies überrascht insofern, als das Innovationstempo vor allem im High-Tech-Sektor sehr hoch ist. Auch wenn technische Innovationen – zumindest bisher – noch nicht zu einem Anstieg der Produktivität geführt haben, sorgen sie bereits jetzt für „Disruptionen“ in vielen bestehenden Geschäftsmodellen und haben signifikante Auswirkungen auf Arbeitsmärkte. Letzteres könnte zu unvorhergesehenen gesellschaftlichem und politischem Wandel führen. Für Investoren ergeben sich bereits jetzt neue und interessante Anlagemöglichkeiten.

Wir stehen am Beginn der 4. Industriellen Revolution

Das derzeitige Innovationstempo ist hoch und nimmt weiter zu: Anwendungen auf unseren Smartphones ermöglichen uns die Beschaffung von Informationen in einem Ausmaß, das noch vor wenigen Jahren undenkbar war. Die digitalen Spuren, die wir im Internet hinterlassen, ermöglichen es Unternehmen, anhand dieser Daten individuell zugeschnittene Werbung zu platzieren. Selbstfahrende Autos werden wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft alltäglich sein, während selbstlernende Maschinen schon jetzt Aufgaben übernehmen, die früher von hochqualifizierten Fachleuten wahrgenommen wurden. Dies sind lediglich einige wenige Beispiele. Auf digitaler Technologie basierende Innovationen, vor allem künstliche Intelligenz (KI), werden künftig wahrscheinlich in sämtlichen Branchen fundamentale Auswirkungen haben, sei es im Energiesegment, in der Industrieproduktion oder in Dienstleistungsbereichen wie Einzelhandel, Finanzen, Recht und sogar Gesundheit.

Das Ausmaß und Umfang der derzeitigen technologischen Veränderungen werden oft als der Beginn einer neuen, nämlich der 4. „Industriellen Revolution“ angesehen. Bei der 1. Industriellen Revolution (spätes 18. Jahrhundert bis Mitte 19. Jahrhundert) stand die Einführung mechanischer Produktionsprozesse, der Dampfkraft und der Eisenbahn im Mittelpunkt. Die 2. Industrielle Revolution (spätes 19. Jahrhundert bis Anfang der 1930er Jahre) war durch bedeutende Durchbrüche beim Einsatz von Elektrizität charakterisiert, der Erfindung des Telefons, des Automobils, des Radios und erster Kunststoffe. In der 3. Industriellen Revolution (von etwa 1950 bis zum Jahr 2000) ging es um die Entwicklung von Großrechnern, PCs, Mobiltelefonen und des Internets. Heute sind wir Zeuge der 4. Industriellen Revolution, die zu Beginn dieses Jahrzehnts eingesetzt hat und in der wir die Verschmelzung der digitalen, physischen und biologischen Sphären beobachten. Laut Klaus Schwab, dem Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, sind die „Änderungen so grundlegend, … nie zuvor waren die Verheißungen oder die potentiellen Gefahren größer“. Das bedeutet, dass die derzeitigen technologischen Innovationen auf der einen Seite zu einer wesentlich höheren Produktivität führen können (häufig gemessen als Wertschöpfung pro Arbeitsstunde). Auf der anderen Seite werden die neuen Technologien viele bestehende Geschäftsabläufen dramatisch verändern, was erhebliche Auswirkungen auch auf die Arbeitsmärkte haben kann, was wiederum soziale und politische Veränderungen mit sich bringt.

Wo bleibt der Produktivitätszuwachs?

Betrachten wir zunächst das Produktivitätsargument. Die Annahme liegt nahe, dass die Produktivität positiv auf die bedeutenden technologischen Innovationen der letzten Jahre reagiert hat. Betrachtet man aber die offiziellen Produktivitätsdaten in den entwickelten und den aufstrebenden Ländern, fühlt man sich an das Zitat von Robert Solow aus dem Jahr 1987 erinnert: „Man sieht das Computerzeitalter überall, außer in der Produktivitätsstatistik.“ Laut Robert Gordon, einem der führenden Köpfe der Produktivitätsforschung, stieg die Arbeitsproduktivität in den USA vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die frühen 1970er Jahre im Schnitt um ca. 2 1/3 % pro Jahr. Seither st das Produktivitätswachstum jedoch auf rund 1 1/3 % p. a. gesunken, wenn man von einem kurzen Zeitraum um das Jahr 2000 absieht. Bestätigt wird dies durch Daten des Conference Board, wonach das Wachstum der Arbeitsproduktivität in den entwickelten Ländern bereits seit vielen Jahren rückläufig ist (siehe Grafik A). Dieser Trend hat bereits deutlich vor der Finanzkrise (2007/2008) eingesetzt. In China, der größten Volkswirtschaft in den Schwellenländern, erreichte das Wachstum der Arbeitsproduktivität seinen Höchststand im Jahr 2006. Wie lässt sich die scheinbare Abkopplung des Produktivitätszuwachses vom Tempo der technologischen Innovation erklären?

A: Arbeitsproduktivität, Veränderung gegenüber Vorjahr in %

Arbeitsproduktivität, Veränderung gegenüber Vorjahr in %

Quelle: Allianz Global Investors Global Economics & Strategy, The Conference Board; Durchschnitt über 3 Jahre, Datenstand: 2017

Wie so oft bei wirtschaftlichen Fragen gibt es keine eindeutige Antwort. Optimisten würden die Auffassung vertreten, dass wir uns noch in der Frühphase einer technologischen Revolution befinden. In der aktuellen Phase der Einführung von Innovationen ist das gesamte wirtschaftliche Produktivitätswachstum tendenziell noch relativ gering. Nach und nach werden aber die neuen Technologien ausgerollt und in der Breite eingesetzt und Arbeitskräfte werden lernen, wie sie diese am besten anwenden. In Folge dessen wird die Produktivität dann wahrscheinlich steigen. Anders gesagt ist es nur eine Frage der Zeit, wann – nicht ob - sich das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum beschleunigt. Am stärksten zum Produktivitätszuwachs beitragen werden voraussichtlich diejenigen Bereiche, die intensivsten Nutzer digitaler Technologien sind, weniger die Technologiebranche selbst, deren Produktivitiätswachstum vermutlich relativ konstant hoch bleiben wird.

Ein weiteres Argument der Produktivitätsoptimisten halten wir hingegen für wenig stichhaltig: Eine Unterschätzung der tatsächlichen Produktivitätsgewinne aufgrund einer unzureichenden Berücksichtigung technologischer Innovationen in den offiziellen Statistiken ist vernachlässigbar, wie verschiedene wissenschaftliche Studien zeigen.

Robert Gordon1 und andere Wissenschaftler sehen die langfristige Entwicklung der Produktivität weit pessimistischer. Ihrer Ansicht nach ist es das Fehlen einer „neuen Grundlagentechnologie“, das den strukturellen Rückgang des Produktivitätswachstums erklärt. Einer der wesentlichen Fortschritte während der 2. Industriellen Revolution war der Einsatz der Elektrizität, einer unverzichtbaren Technologie, die sämtliche Produktionsprozesse drastisch verändert und das Verbraucherverhalten grundlegend beeinflusst hat (schon bei einem Stromausfall von wenigen Stunden scheint die Welt stillzustehen). Dagegen ist die grundlegende Bedeutung der heutigen technologischen Innovationen nach Auffassung der Produktivitätspessimisten weit geringer. Robert Gordon führt außerdem den Rückgang des Bildungsniveaus, nicht nur in den Vereinigten Staaten, als zusätzlichen Grund für das relativ schwache Produktivitätswachstum an.

Eine völlig andere Erklärung für den strukturell nachlassenden Produktivitätszuwachs steht im Zusammenhang mit der Geldpolitik: Ein zu langes Festhalten an einer lockeren Geldpolitik und damit einhergehende niedrigere Kapitalkosten begünstigen die Fehlallokation von Ressourcen. Da die Gewinnschwelle von Investitionen künstlich gesenkt wird, steigt in diesem Szenario die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von Investitionsvorhaben, die nur wenig oder gar nicht zum Produktivitätswachstum beitragen. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Immobilienboom nach dem Ende der Technologieblase im Jahr 2000, der letztlich in einer Finanzkrise endete. In diesem Zusammenhang könnte man sogar argumentieren, dass die Geldpolitik in den USA und in Europa seit Mitte der 1980er Jahren asymmetrisch war: Sie war in Zeiten tatsächlicher oder erwarteter wirtschaftlicher Schwächephasen und Krisen expansiv, aber in Boomphasen nicht restriktiv genug, was zum langfristigen Rückgang des Produktivitätswachstums geführt beigetragen haben könnte. Aus dieser Perspektive ist daher eine Normalisierung der Geldpolitik eher angebracht als das Festhalten oder sogar Ausweiten der derzeit extrem lockeren Geldpolitik.

Wer letztlich hinsichtlich des künftigen Produktivitätswachstums richtig liegt – die Optimisten oder Pessimisten, wird die Zeit zeigen. Dennoch bleibt zumindest bis dato festzuhalten, dass die jüngste Welle technologischer Innovationen noch nicht zu einem messbaren Effizienzgewinn auf gesamtwirtschaftlicher Ebene geführt hat.

Dessen ungeachtet wird die aktuelle technologische Revolution wahrscheinlich einen Arbeitsmarkttrend verschärfen, der sich bereits seit den 1980er Jahren abzeichnet und die Folge zunehmender Automatisierung und Globalisierung ist.

So geht die Nachfrage nach Routinetätigkeiten, von denen viele im mittleren Einkommenssegment angesiedelt sind (einschließlich zahlreicher Bürojobs und Tätigkeiten in der Produktion) zurück (siehe Grafik B). Gleichzeitig steigt in allen großen entwickelten Volkswirtschaften der Beschäftigtenanteil im Hochlohnsektor aufgrund des zunehmenden Bedarfs an hochqualifizierten Mitarbeitern. Interessanterweise ist der Beschäftigtenanteil im Niedriglohnsegment in den meisten Ländern stabil geblieben, wenn auch um den Preis fallender Reallöhne.

"Selbst wenn technologische Fortschritte zu einem höheren Produktivitätswachstum führen würden, könnten ihre disruptiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt politische Reaktionen auslösen, die im wahrsten Sinne des Wortes kontraproduktiv sind."

Diverse Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass sich dieser Trend wahrscheinlich fortsetzen wird, da neue Technologien Routinejobs und manuelle Tätigkeiten zunehmend überflüssig machen. Man denke nur an Taxi- oder Lkw-Fahrer, die durch autonome Fahrzeuge ersetzt werden könnten. Die besten Chancen, vom Wandel in der Arbeitswelt zu profitieren, haben Tätigkeiten, die sehr gute IT-Kenntnisse und analytische Fähigkeiten voraussetzen (z. B. Datenwissenschaftler), aber auch angemessene „Soft Skills“ erfordern, insbesondere Kreativität, Kommunikationsfähigkeit und soziale Intelligenz (z. B. im Bereich Öffentlichkeitsarbeit), außerdem Tätigkeiten, die mit komplexen Anforderungen in Bezug auf Wahrnehmung und handwerkliches Können einhergehen (z. B. Ärzte). Die Schätzungen, wieviele Tätigkeiten von der Einführung neuer Technologien betroffen sein werden, reichen von weniger als 10 % bis fast 50 %. Jedoch stimmen alle Untersuchungen darin überein, dass die Nachfrage nach hochbezahlten Tätigkeiten steigen und der Bedarf an geringqualifizierten Arbeitskräften sinken wird.

B: Anteil von Routinejobs in den USA

Anteil von Routinejobs in den USA

Quelle: C. B. Frey, T. Berger, C.Che, Political Machinery: Automation Anxiety and the 2016 U. S. Presidential Election, 2017

Daraus ergibt sich eindeutig das Risiko, dass die Einkommensungleichheit weiter steigen wird. Dies hat wichtige Implikationen: So halten wir zunehmende Ungleichheit für einen der Hauptgründe für vermehrten Zuspruch für populistische Parteien und Politiker in Europa und den USA seit den 1980er Jahren und vor allem seit der Finanzkrise. Die Umsetzung populistischer Forderungen könnte unserer Meinung nach negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Finanzmärkte haben (siehe unser Papier „The Economics of Populism” von 2017). Da Populismus für (wirtschaftlichen) Nationalismus, geringere ökonomische Integration und weniger internationale Migration steht, dürfte das Produktivitätswachstum leiden, wenn sich die politische Stimmung weiter in Richtung populistischer Positionen entwickelt. Der Grund dafür ist, dass der Freihandel die Produktivitätsentwicklung aufgrund einer besseren internationalen Arbeitsteilung und des Transfer von Knowhow (relevant insbesondere für ärmere Länder) begünstigt. Ähnliches gilt für Migration, vor allem wenn das Arbeitskräftepotential eines Landes durch ausländische Arbeitnehmer mit abweichender Qualifikation ergänzt wird. Selbst wenn technologische Fortschritte zu einem höheren Produktivitätswachstum führen würden, könnten ihre disruptiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt politische Reaktionen auslösen, die im wahrsten Sinne des Wortes kontraproduktiv sind.

Produktivität und Kapitalmärkte

Welche Relevanz hat die Diskussion um die Produktivitätsentwicklung für die Kapitalmärkte? Sollte durch technologische Innovation tatsächlich die Produktivität steigen, würde bei sonst unveränderten Gegebenheiten auch das potentielle Wirtschaftswachstum höher und die Inflation niedriger ausfallen. Davon könnten Aktien zumindest auf lange Sicht profitieren. Soweit die Theorie.

In der Praxis findet die Theorie aber keine wirkliche Bestätigung: Wir untersuchten die rollierenden realen 10-Jahres-Renditen am Aktienmarkt in Großbritannien seit dem späten 18. Jahrhundert (als England die führende Volkswirtschaft der Welt war – eine Rolle, die es bis zum Ersten Weltkrieg behalten sollte) sowie den rollierenden 10-Jahres-Durchschnittsertrag (gleichgewichtet) 15 internationaler Aktienmärkte von 1870-2017.

Es ergab sich, dass Phasen überdurchschnittlicher langfristiger Aktienerträge gelegentlich, aber nicht systematisch, mit wichtigen technologischen Innovationen einhergingen (siehe Grafik C). Beispielsweise erzielten Anleger bei einer Investition am Aktienmarkt Mitte der 1970er Jahre (kurz nach der Entwicklung des PC) oder in den frühen 1990er Jahren (als das Internet und die zweite Generation digitaler Mobiltelefonen aufkamen) überdurchschnittliche Erträge bei einem Investmenthorizont von 10 Jahren Das gleiche galt, wenn man eine langfristige Aktienanlage in den 1950er Jahren tätigte, als Mainframe-Computer und die Nutzung der Kernenergie wichtige Innovationen waren.

Unterdurchschnittlich waren die langfristigen Aktienerträge dagegen nach der Erfindung des Telefons (1876), der Einführung von Elektrizität in den Städten der westlichen Welt (1882), der Erfindung des Automobils (1886), der Flugzeuge (1903)des Radios (1920) oder der ersten Kunststoffe (frühe 1930er Jahre). Nach der Erfindung der Dampfmaschine (1781), der Eisenbahn (1825) und der modernen Stahlproduktion (1850er Jahre) bot sich für langfristig orientierte Investoren nur kurzzeitig eine attraktive Einstiegsgelegenheit am Aktienmarkt. Langfristanleger, die etwas später kamen, erzielten dagegen nur niedrige, mitunter sogar negative reale Erträge, so wie z. B. auch Technologie-Investoren Ende der 1990er Jahre.

Wie ist das zu erklären? Zunächst ist nochmals zu betonen, dass Innovation und Produktivitätswachstum nicht dasselbe sind. Zwar kann jeder neue technologische Durchbruch zu höherer Produktivität führen, doch ist dies möglicherweise nur mit einer erheblichen Zeitverzögerung der Fall. Dies war die Erfahrung von Robert Solow in den 1980er Jahren.

Des Weiteren können negative Auswirkungen die möglichen positiven Folgen einer neuen Technologie auf die Produktivitätsentwicklung überkompensieren. So haben z. B. die wichtigsten Innovationen im späten 19. Jahrhundert erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem nachhaltigen Produktivitätsschub geführt (wenngleich dann für mehr als ein halbes Jahrhundert) während das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts in vielen Ländern von einer langen Phase relativ moderaten Wirtschaftswachstums geprägt war, die auch als „Lange Depression“ (1873 bis 1896) bezeichnet wird. Überinvestitionen in den 1860er und frühen 1870er Jahren, der Anstieg der Verschuldung im privaten Sektor und die Entscheidung der USA, von einer auf Gold und Silber basierten Währung zu einem reinen Goldstandard überzugehen (1873), was faktisch eine Straffung des geldpolitischen Rahmens bedeutete, belasteten die Produktivitätsentwicklung und das Wirtschaftswachstum. Ab 1910 bzw. 1940 hemmten die beiden Weltkriege die gesamtwirtschaftlicher Produktivität.

Aus der Investmentperspektive am wichtigsten ist schließlich, dass die Bewertungsniveaus – wenig überraschend - eine Rolle spielen. So war das zyklisch adjustierte durchschnittliche Kurs/Gewinn-Verhältnis im S&P 500 Index Anfang des 20. Jahrhunderts besonders hoch, nachdem eine mehrjährige Phase bedeutender technologischer Innovationen vorangegangen war. Dasselbe gilt für das Ende der „Goldenen 20er Jahre“, in denen es zu schwindelerregenden technologischen Fortschritten (z. B. dem Radio) kam, ; die von einer Hochkonjunktur geprägten 1960er Jahre („Go-Go-Years“), als vor allem Technologieaktien im Kurs stiegen, ; die späten 1990er Jahren, als die Technologieblase entstand und schließlich platzte, sowie die Zeit unmittelbar vor der Finanzkrise (2007/2008). In allen diesen Phasen zahlten die Investoren schlicht zu viel für das künftige Wachstum, weshalb die anschließende Wertentwicklung ihrer Aktienanlagen niedrig war, häufig (wenn auch nicht immer) aufgrund verschärft durch gravierende Marktschocks oder Finanzkrisen (1901,1929, 2000, 2007). Auch aktuell sind die zyklisch adjustierten Kurs/Gewinn-Verhältnisse in den USA sehr hoch und ähneln denjenigen im Jahr 1929. Dies deutet darauf hin, dass der Ertrag am breiten Aktienmarkt in den kommenden 10 Jahren im historischen Vergleich höchstwahrscheinlich niedrig ausfallen wird (keinesfalls zulässig wäre aber die Schlussfolgerung, dass ein Kurssturz bevorsteht). Angeführt wurde der Aktienboom in den letzten Jahren von den populären neuen Technologietiteln Facebook, Amazon, Netflix, Google/Alphabet (FANG-Aktien). Dagegen erwiesen sich Aktienanlagen, die in Zeiten ohne wesentliche technologische Innovationen erfolgten, z. B. in den 1940er oder 1980er Jahren, oftmals als sehr profitabel. Dabei profitierten antizyklisch agierende Anleger von niedrigen Aktienbewertungen.

"Zwar kann jeder neue technologische Durchbruch zu höherer Produktivität führen, doch ist dies möglicherweise nur mit einer erheblichen Zeitverzögerung der Fall."

C: Reale Aktienerträge auf Sicht von 10 Jahren in Großbritannien/Global bei einer Investition im Jahr

Reale Aktienerträge auf Sicht von 10 Jahren in Großbritannien/Global bei einer Investition im Jahr

Quellen2: Allianz Global Investors, Bloomberg, Wikipedia, Federal Reserve Bank of St. Louis. Òscar Jordà, Moritz Schularick und Alan M. Taylor (2017) “Macrofinancial History and the New Business Cycle Facts.” in: NBER Macroeconomics Annual 2016, Band 31, hrsg. von Martin Eichenbaum und Jonathan A. Parker, University of Chicago Press; Macrohistory Lab, Universität Bonn;
Legende: Jahresenddaten außer für das Jahr 2017 (Stand: 21.09.2017). Globale reale Renditen: Durchschnitt der Länder AUS, BEL, CAN, CHE, DEU, ESP, FIN, FRA, GBR, ITA, JPN, NLD, PRT, SWE, USA; Jahr bedeutender Innovationen (Näherungsangabe oder Jahr des ersten kommerziellen Einsatzes): Dampfmaschine (1775), Eisenbahn (1825), moderne Stahlherstellung (1855), Telefon (1876), Elektrizität (1882), Automobil (1886), Funk (1920), Kunststoffe (frühe 1930er Jahre), Mainframe-Computer (1950er Jahre), Kernenergie (1954), PC (1974), digitales Mobiltelefon (1991), Internet (1991), KI (ca. 2010)
Finanzkrisen oder ausgeprägte Korrekturen am Markt: UK, USA 1796/97, USA 1819, UK 1825, USA 1837, UK 1847, USA 1857, USA 1873 und lange Depression 1873-1896, Frankreich 1882, Norwegen 1899, USA 1901, USA 1907, USA 1929 und Große Depression, USA 1937/38, USA 1987, Japan 1989, Skandinavien ca.1990, Asien/ Russland 1997/98, globale TMT-Blase 2000, globale Finanzkrise 2007


Auch wenn technologische Innovationen demnach nicht notwendigerweise ein gutes Vorzeichen für die Entwicklung des breiten Aktienmarkt sind, heißt das nicht, dass Innovation für die Börsen völlig irrelevant wäre. So haben wir zwei wesentliche Implikationen identifiziert.

Interessant sind zum einen „disruptive“ Marktsegmente, die für bahnbrechende technologische Innovationen stehen und sich nach unseren Untersuchungen auf Sicht von 3,5, 10 und sogar 20 Jahren besser als der breite Markt entwickeln (siehe Grafik D). Dazu analysierten wir die Wertentwicklung von US-Aktienmarktsegmenten, die für technologische Innovationen seit dem späten 19. Jahrhundert stehen (Telefon, Elektrizität, Automobil, Fließbandfertigung, Flugzeuge, Radio, Kunststoffe, Fernsehen, Computer, PC, digitale Mobiltelefone, Internet, Künstliche Intelligenz). Natürlich trifft dieses positive Fazit nicht für jeden Sektor und nicht jeden Subsektor gleichermaßen zu; tatsächlich streuen die Ergebnisse relativ stark. Beispielsweise entwickelten sich nach Vorstellung des ersten kommerziellen PC Mitte der 1970er Jahre Softwareaktien (vor allem Microsoft) weit überdurchschnittlich, während dies bei Hardwarehersteller nicht der Fall war. Ebenso haben IT-Aktien nach der Einführung des Internets und der digitalen Telefonie im Jahr 1991 vergleichsweise gut abgeschnitten, Titel von Telekommunikationsunternehmen dagegen nicht. Hinzu kommt, dass die Outperformance der Profiteure keine stetige Entwicklung war. So nehmen die Gewinnerwartungen der Anleger einige Jahre nach einer Innovation häufig ein übertriebenes Ausmaß an. Auf die damit einhergehenden hohen Bewertungen in den begehrten Marktsegmenten folgten dann Kursrückschläge.

Nichtsdestoweniger, haben, sofern historische Erfahrungen eine Richtschnur auch am aktuellen Rand sind, Marktsegmente und Unternehmen mit Bezug zu KI-Infrastruktur (z. B. Big Data, Internet der Dinge, Cloud Computing), KI-Anwendungen (z. B. Robotik, Deep Learning) sowie von Künstlicher Intelligenz profitierende Branchen (z. B. Gesundheit, Transport, Automobile) gute Chancen auf eine insgesamt weiterhin überdurchschnittliche Entwicklung, solange die Bewertungen im Rahmen bleiben nicht übertrieben hoch sind. Mit einem durchschnittlichen Kurs/Gewinn-Verhältnis von rund 30 erscheinen Technologieaktien aus den USA derzeit zwar nicht mehr billig, aber im historischen Vergleich auch nicht überzogen teuer. Tatsächlich wird das hohe Bewertungsniveau des US-Aktienmarkt insgesamt von anderen Segmenten bestimmt, vor allem den Bereichen Klassischer Konsum und Industrie.

D: Wertentwicklung von Segmenten des US-Aktienmarkts, die für neue Technologien stehen, in den Jahren im Anschluss an eine wesentliche technologische Innovation

Wertentwicklung von Segmenten des US-Aktienmarkts, die für neue Technologien stehen, in den Jahren im Anschluss an eine wesentliche technologische Innovation

Quelle: Allianz GI, Fama, Cowles, Datastream, Daten per 12/2017
Legende: Die Grafik zeigt Median, Durchschnitt, Minimum und Maximum des nominalen Mehrertrags gegenüber dem breiten US-Aktienmarkt von Sektoren, in denen wesentliche technologische Innovationen stattfanden, auf Sicht von 1,3, 5,10 und 20 Jahren nach dem jeweiligen technologischen Durchbruch. Insgesamt wurden 13 technologische Innovationen seit dem späten 19. Jahrhundert untersucht.2


Zum anderen wird der Innovationszyklus immer dynamischer – beispielsweise dauerte es rund 100 Jahre, bis sich Eisenbahnen in der Hälfte der Länder der Welt etablierten, während dies beim Internet in weniger als 10 Jahren der Fall war (siehe Grafik E). Folglich haben Anleger immer weniger Zeit, um die Auswirkungen von Innovationen zu erfassen und die potentiellen Gewinner auf Branchen- und Unternehmensebene zu identifizieren. Die vom österreichischen Ökonom Joseph Schumpeter beschriebene „schöpferische Zerstörung“ – heute Neudeutsch „Disruption“ bezeichnet – scheint weiter an Dynamik gewonnen zu haben. Das spricht umso mehr für aktives Anlagemanagement.

E: Das Innovationstempo wird immer schneller: Ersteinsatz neuer Technologien

Das Innovationstempo wird immer schneller: Ersteinsatz neuer Technologien

Quelle: D. Comin und B. Hobijn (2010) „An Exploration of Technology Diffusion“
Legende: Die y-Achse zeigt den Zeitraum in Jahren, bis in 50 % aller Länder die neue Technologie eingeführt war.


Antworten auf einen Blick

Was kennzeichnet die 4. Industrielle Revolution? Ihr Hauptmerkmal ist die Verschmelzung von Technologien. Dabei lösen sich die Grenzen der digitalen, der physischen und der biologischen Sphäre zunehmend auf. Dieser Wandel ist so grundlegend, dass die Verheißungen nie zuvor größer waren - ebenso wie die potenziellen Gefahren.
Offiziele Statistiken weisen seit den 1970er Jahren – mit kurzer Unterbrechung um die Jahrhundertwende – einen Rückgang der Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität auf. Wie kann das sein? Technologische Innovation und Produktivitätswachstum sind nicht identisch. Optimisten gehen davon aus, dass die technologischen Innovationen über kurz oder lang zu höherem Produktivitätswachstum führen wird, sobald diese im grossen Stil ausgerollt sind. Andere Stimmen sind pessimistischer. Für eine signifikante Steigerung der Arbeitsproduktivität vermissen sie etwas Entscheidendes: eine neue Grundlagentechnologie.
Wie wirkt sich die 4. Industrielle Revolution auf die Arbeitsmärkte aus? Aktuelle Technologien werden voraussichtlich zwei Trends verschärfen, die sich seit den 1980er Jahren abzeichnen: die Automatisierung von Routinetätigkeiten auf der einen Seite und ein steigender Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern auf der anderen. Durch diese Entwicklung wächst das Risiko einer steigenden Einkommensungleichheit - ein idealer Nährboden für populistische Parteien und somit eine Gefahr für Wirtschaft und Kapitalmärkte.
Welche Relevanz hat die Diskussion um die Produktivitätsentwicklung für die Kapitalmärkte? Wenn technologische Innovation auch zu höherem Produktivitätswachstum führt, sollte sich dies positiv auf Aktien auswirken – so zumindest die Theorie. In der Realität trifft dies aber nicht immer zu: a) weil technologische Innovationen nicht stets auch mit höherem Produktivitätswachstum einhergen; b) weil andere Faktoren, v. a. Aktienbewertungen, den fundamentalen Zusammenhang überlagern können.
Wie sollten Investoren reagieren? Investoren sollten nach „disruptiven“ Marktsegmenten Ausschau halten, die für bahnbrechende technologische Innovationen stehen, und auf das Bewertungsniveau achten. Aufgrund von sehr dynamischen Innovationszyklen bleibt allerdings immer weniger Zeit, potenzielle Gewinner zu identifizieren. Daher ist ein aktives Anlagemanagement umso wichtiger.



1) Zur Vertiefung: Rise and Fall of American Growth: The U. S. Standard of Living since the Civil War
2) Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse.

Verwendete Literatur und Daten:
Allianz Global Investors: The Economics of Populism, 2017
D. Comin, B. Hobijn: An Exploration of Technology Diffusion, 2010
The Conference Board: Prioritizing Productivity, 2014
The Conference Board: Navigating the Digital Economy, 2016
Robert Gordon: Is US Economic Growth Over? Faltering Innovation Confronts the Six Headwinds, 2012
E. Brynjolfsson, A. McAfee: The Second Machine Age: Work, Progress, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies, 2016
C. B. Frey, T. Berger, C. Chen: Political Machinery: Automation Anxiety and the 2016 U. S. Presidential Election, 2017
C. B. Frey, M. A. Osborne: The Future of Employment: How susceptible are jobs to computerisation?, 2013
Òscar Jordà, Moritz Schularick, Alan M. Taylor: Macrofinancial History and the New Business Cycle Facts, in: NBER Macroeconomics Annual 2016,
Band 31, hrsg. von Martin Eichenbaum und Jonathan A. Parker, Chicago: University of Chicago Press, Macrohistory Lab, Universität Bonn
S. Nairn: Engines that Move Markets, 2002

Conference Board, Produktivitätsdatenbank
Cowles Data, Yale School of Management: gängige Aktienindizes
Fama/French: Datenbibliothek

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Über den Autor

Strategien in Zeiten niedriger Risikoprämien

von , | 26.03.2018
Strategien in Zeiten niedriger Risikoprämien

Zusammenfassung

Das anhaltende Niedrigzinsumfeld erfordert von institutionellen Investoren neue Strategien, um die gesteckten Renditeziele zu erreichen. So kann die Erweiterung einer traditionellen Portfolioallokation um alternative Investments zu einer höheren risikoadjustierten Rendite, einer verbesserten Diversifikation und einer niedrigeren Marktsensitivität führen. Die konkrete Umsetzung bringt jedoch besondere Herausforderungen mit sich.

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