Zusammenfassung
Die Wachstumsraten für Produktivität sind laut offiziellen Statistiken seit Jahren rückläufig. Dies überrascht insofern, als das Innovationstempo vor allem im High-Tech-Sektor sehr hoch ist. Auch wenn technische Innovationen – zumindest bisher – noch nicht zu einem Anstieg der Produktivität geführt haben, sorgen sie bereits jetzt für „Disruptionen“ in vielen bestehenden Geschäftsmodellen und haben signifikante Auswirkungen auf Arbeitsmärkte. Letzteres könnte zu unvorhergesehenen gesellschaftlichem und politischem Wandel führen. Für Investoren ergeben sich bereits jetzt neue und interessante Anlagemöglichkeiten.
1 Wir stehen am Beginn der 4. Industriellen Revolution
Das derzeitige Innovationstempo ist hoch und nimmt weiter zu:
Anwendungen auf unseren Smartphones ermöglichen uns die Beschaffung
von Informationen in einem Ausmaß, das noch vor wenigen
Jahren undenkbar war. Die digitalen Spuren, die wir im Internet
hinterlassen, ermöglichen es Unternehmen, anhand dieser Daten
individuell zugeschnittene Werbung zu platzieren. Selbstfahrende
Autos werden wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zukunft alltäglich
sein, während selbstlernende Maschinen schon jetzt Aufgaben
übernehmen, die früher von hochqualifizierten Fachleuten wahrgenommen
wurden. Dies sind lediglich einige wenige Beispiele. Auf
digitaler Technologie basierende Innovationen, vor allem künstliche
Intelligenz (KI), werden künftig wahrscheinlich in sämtlichen Branchen
fundamentale Auswirkungen haben, sei es im Energiesegment,
in der Industrieproduktion oder in Dienstleistungsbereichen wie
Einzelhandel, Finanzen, Recht und sogar Gesundheit.
Das Ausmaß und Umfang der derzeitigen technologischen Veränderungen
werden oft als der Beginn einer neuen, nämlich der 4.
„Industriellen Revolution“ angesehen. Bei der 1. Industriellen Revolution
(spätes 18. Jahrhundert bis Mitte 19. Jahrhundert) stand die
Einführung mechanischer Produktionsprozesse, der Dampfkraft
und der Eisenbahn im Mittelpunkt. Die 2. Industrielle Revolution
(spätes 19. Jahrhundert bis Anfang der 1930er Jahre) war durch
bedeutende Durchbrüche beim Einsatz von Elektrizität charakterisiert,
der Erfindung des Telefons, des Automobils, des Radios und
erster Kunststoffe. In der 3. Industriellen Revolution (von etwa 1950
bis zum Jahr 2000) ging es um die Entwicklung von Großrechnern,
PCs, Mobiltelefonen und des Internets. Heute sind wir Zeuge der 4.
Industriellen Revolution, die zu Beginn dieses Jahrzehnts eingesetzt
hat und in der wir die Verschmelzung der digitalen, physischen
und biologischen Sphären beobachten. Laut Klaus Schwab, dem
Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, sind die „Änderungen
so grundlegend, … nie zuvor waren die Verheißungen oder die
potentiellen Gefahren größer“. Das bedeutet, dass die derzeitigen
technologischen Innovationen auf der einen Seite zu einer wesentlich
höheren Produktivität führen können (häufig gemessen als
Wertschöpfung pro Arbeitsstunde). Auf der anderen Seite werden
die neuen Technologien viele bestehende Geschäftsabläufen dramatisch
verändern, was erhebliche Auswirkungen auch auf die
Arbeitsmärkte haben kann, was wiederum soziale und politische
Veränderungen mit sich bringt.
2 Wo bleibt der Produktivitätszuwachs?
Betrachten wir zunächst das Produktivitätsargument. Die Annahme
liegt nahe, dass die Produktivität positiv auf die bedeutenden technologischen
Innovationen der letzten Jahre reagiert hat. Betrachtet
man aber die offiziellen Produktivitätsdaten in den entwickelten und
den aufstrebenden Ländern, fühlt man sich an das Zitat von Robert
Solow aus dem Jahr 1987 erinnert: „Man sieht das Computerzeitalter
überall, außer in der Produktivitätsstatistik.“ Laut Robert Gordon,
einem der führenden Köpfe der Produktivitätsforschung, stieg die
Arbeitsproduktivität in den USA vom Ende des 19. Jahrhunderts bis
in die frühen 1970er Jahre im Schnitt um ca. 2 1/3 % pro Jahr. Seither
st das Produktivitätswachstum jedoch auf rund 1 1/3 % p. a. gesunken,
wenn man von einem kurzen Zeitraum um das Jahr 2000 absieht.
Bestätigt wird dies durch Daten des Conference Board, wonach das
Wachstum der Arbeitsproduktivität in den entwickelten Ländern
bereits seit vielen Jahren rückläufig ist (siehe Grafik A). Dieser Trend
hat bereits deutlich vor der Finanzkrise (2007/2008) eingesetzt. In
China, der größten Volkswirtschaft in den Schwellenländern, erreichte
das Wachstum der Arbeitsproduktivität seinen Höchststand im Jahr
2006. Wie lässt sich die scheinbare Abkopplung des Produktivitätszuwachses
vom Tempo der technologischen Innovation erklären?
A: Arbeitsproduktivität, Veränderung gegenüber Vorjahr in %
Quelle: Allianz Global Investors Global Economics & Strategy, The Conference Board; Durchschnitt über 3 Jahre, Datenstand: 2017
Wie so oft bei wirtschaftlichen Fragen gibt es keine eindeutige Antwort.
Optimisten würden die Auffassung vertreten, dass wir uns
noch in der Frühphase einer technologischen Revolution befinden.
In der aktuellen Phase der Einführung von Innovationen ist das gesamte
wirtschaftliche Produktivitätswachstum tendenziell noch
relativ gering. Nach und nach werden aber die neuen Technologien
ausgerollt und in der Breite eingesetzt und Arbeitskräfte werden
lernen, wie sie diese am besten anwenden. In Folge dessen wird
die Produktivität dann wahrscheinlich steigen. Anders gesagt ist
es nur eine Frage der Zeit, wann – nicht ob - sich das gesamtwirtschaftliche
Produktivitätswachstum beschleunigt. Am stärksten zum
Produktivitätszuwachs beitragen werden voraussichtlich diejenigen
Bereiche, die intensivsten Nutzer digitaler Technologien sind, weniger
die Technologiebranche selbst, deren Produktivitiätswachstum vermutlich
relativ konstant hoch bleiben wird.
Ein weiteres Argument der Produktivitätsoptimisten halten wir hingegen
für wenig stichhaltig: Eine Unterschätzung der tatsächlichen
Produktivitätsgewinne aufgrund einer unzureichenden Berücksichtigung
technologischer Innovationen in den offiziellen Statistiken
ist vernachlässigbar, wie verschiedene wissenschaftliche Studien
zeigen.
Robert Gordon1 und andere Wissenschaftler sehen die langfristige
Entwicklung der Produktivität weit pessimistischer. Ihrer Ansicht
nach ist es das Fehlen einer „neuen Grundlagentechnologie“, das
den strukturellen Rückgang des Produktivitätswachstums erklärt.
Einer der wesentlichen Fortschritte während der 2. Industriellen
Revolution war der Einsatz der Elektrizität, einer unverzichtbaren
Technologie, die sämtliche Produktionsprozesse drastisch verändert
und das Verbraucherverhalten grundlegend beeinflusst hat
(schon bei einem Stromausfall von wenigen Stunden scheint die
Welt stillzustehen). Dagegen ist die grundlegende Bedeutung der
heutigen technologischen Innovationen nach Auffassung der Produktivitätspessimisten
weit geringer. Robert Gordon führt außerdem
den Rückgang des Bildungsniveaus, nicht nur in den Vereinigten
Staaten, als zusätzlichen Grund für das relativ schwache Produktivitätswachstum
an.
Eine völlig andere Erklärung für den strukturell nachlassenden Produktivitätszuwachs
steht im Zusammenhang mit der Geldpolitik:
Ein zu langes Festhalten an einer lockeren Geldpolitik und damit
einhergehende niedrigere Kapitalkosten begünstigen die Fehlallokation
von Ressourcen. Da die Gewinnschwelle von Investitionen
künstlich gesenkt wird, steigt in diesem Szenario die Wahrscheinlichkeit
der Umsetzung von Investitionsvorhaben, die nur wenig oder
gar nicht zum Produktivitätswachstum beitragen. Ein klassisches
Beispiel dafür ist der Immobilienboom nach dem Ende der Technologieblase
im Jahr 2000, der letztlich in einer Finanzkrise endete.
In diesem Zusammenhang könnte man sogar argumentieren, dass
die Geldpolitik in den USA und in Europa seit Mitte der 1980er Jahren
asymmetrisch war: Sie war in Zeiten tatsächlicher oder erwarteter
wirtschaftlicher Schwächephasen und Krisen expansiv, aber in
Boomphasen nicht restriktiv genug, was zum langfristigen Rückgang
des Produktivitätswachstums geführt beigetragen haben könnte.
Aus dieser Perspektive ist daher eine Normalisierung der Geldpolitik
eher angebracht als das Festhalten oder sogar Ausweiten der derzeit
extrem lockeren Geldpolitik.
Wer letztlich hinsichtlich des künftigen Produktivitätswachstums
richtig liegt – die Optimisten oder Pessimisten, wird die Zeit zeigen.
Dennoch bleibt zumindest bis dato festzuhalten, dass die jüngste
Welle technologischer Innovationen noch nicht zu einem messbaren
Effizienzgewinn auf gesamtwirtschaftlicher Ebene geführt hat.
Dessen ungeachtet wird die aktuelle technologische Revolution
wahrscheinlich einen Arbeitsmarkttrend verschärfen, der sich bereits
seit den 1980er Jahren abzeichnet und die Folge zunehmender
Automatisierung und Globalisierung ist.
So geht die Nachfrage nach Routinetätigkeiten, von denen viele
im mittleren Einkommenssegment angesiedelt sind (einschließlich
zahlreicher Bürojobs und Tätigkeiten in der Produktion) zurück
(siehe Grafik B). Gleichzeitig steigt in allen großen entwickelten
Volkswirtschaften der Beschäftigtenanteil im Hochlohnsektor aufgrund
des zunehmenden Bedarfs an hochqualifizierten Mitarbeitern.
Interessanterweise ist der Beschäftigtenanteil im Niedriglohnsegment
in den meisten Ländern stabil geblieben, wenn auch um den
Preis fallender Reallöhne.
"Selbst wenn technologische Fortschritte zu einem höheren Produktivitätswachstum führen würden, könnten ihre disruptiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt politische Reaktionen auslösen, die im wahrsten Sinne des Wortes kontraproduktiv sind."
Diverse Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass sich dieser
Trend wahrscheinlich fortsetzen wird, da neue Technologien Routinejobs und manuelle Tätigkeiten zunehmend überflüssig
machen. Man denke nur an Taxi- oder Lkw-Fahrer, die durch autonome
Fahrzeuge ersetzt werden könnten. Die besten Chancen, vom
Wandel in der Arbeitswelt zu profitieren, haben Tätigkeiten, die sehr
gute IT-Kenntnisse und analytische Fähigkeiten voraussetzen (z. B.
Datenwissenschaftler), aber auch angemessene „Soft Skills“ erfordern,
insbesondere Kreativität, Kommunikationsfähigkeit und soziale
Intelligenz (z. B. im Bereich Öffentlichkeitsarbeit), außerdem Tätigkeiten,
die mit komplexen Anforderungen in Bezug auf Wahrnehmung
und handwerkliches Können einhergehen (z. B. Ärzte).
Die Schätzungen, wieviele Tätigkeiten von der Einführung neuer
Technologien betroffen sein werden, reichen von weniger als 10 %
bis fast 50 %. Jedoch stimmen alle Untersuchungen darin überein,
dass die Nachfrage nach hochbezahlten Tätigkeiten steigen und der
Bedarf an geringqualifizierten Arbeitskräften sinken wird.
B: Anteil von Routinejobs in den USA
Quelle: C. B. Frey, T. Berger, C.Che, Political Machinery: Automation Anxiety and the 2016 U. S. Presidential Election, 2017
Daraus ergibt sich eindeutig das Risiko, dass die Einkommensungleichheit
weiter steigen wird. Dies hat wichtige Implikationen: So
halten wir zunehmende Ungleichheit für einen der Hauptgründe
für vermehrten Zuspruch für populistische Parteien und Politiker in
Europa und den USA seit den 1980er Jahren und vor allem seit der
Finanzkrise. Die Umsetzung populistischer Forderungen könnte
unserer Meinung nach negative Auswirkungen auf Wirtschaft und
Finanzmärkte haben (siehe unser Papier „The Economics of Populism”
von 2017). Da Populismus für (wirtschaftlichen) Nationalismus,
geringere ökonomische Integration und weniger internationale
Migration steht, dürfte das Produktivitätswachstum leiden, wenn
sich die politische Stimmung weiter in Richtung populistischer
Positionen entwickelt. Der Grund dafür ist, dass der Freihandel die
Produktivitätsentwicklung aufgrund einer besseren internationalen
Arbeitsteilung und des Transfer von Knowhow (relevant insbesondere
für ärmere Länder) begünstigt. Ähnliches gilt für Migration,
vor allem wenn das Arbeitskräftepotential eines Landes durch
ausländische Arbeitnehmer mit abweichender Qualifikation ergänzt
wird. Selbst wenn technologische Fortschritte zu einem höheren
Produktivitätswachstum führen würden, könnten ihre disruptiven
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt politische Reaktionen auslösen,
die im wahrsten Sinne des Wortes kontraproduktiv sind.
3 Produktivität und Kapitalmärkte
Welche Relevanz hat die Diskussion um die Produktivitätsentwicklung
für die Kapitalmärkte? Sollte durch technologische Innovation
tatsächlich die Produktivität steigen, würde bei sonst unveränderten
Gegebenheiten auch das potentielle Wirtschaftswachstum höher
und die Inflation niedriger ausfallen. Davon könnten Aktien zumindest
auf lange Sicht profitieren. Soweit die Theorie.
In der Praxis findet die Theorie aber keine wirkliche Bestätigung:
Wir untersuchten die rollierenden realen 10-Jahres-Renditen am
Aktienmarkt in Großbritannien seit dem späten 18. Jahrhundert
(als England die führende Volkswirtschaft der Welt war – eine
Rolle, die es bis zum Ersten Weltkrieg behalten sollte) sowie den
rollierenden 10-Jahres-Durchschnittsertrag (gleichgewichtet) 15
internationaler Aktienmärkte von 1870-2017.
Es ergab sich, dass Phasen überdurchschnittlicher langfristiger
Aktienerträge gelegentlich, aber nicht systematisch, mit wichtigen
technologischen Innovationen einhergingen (siehe Grafik C).
Beispielsweise erzielten Anleger bei einer Investition am Aktienmarkt
Mitte der 1970er Jahre (kurz nach der Entwicklung des PC)
oder in den frühen 1990er Jahren (als das Internet und die zweite
Generation digitaler Mobiltelefonen aufkamen) überdurchschnittliche
Erträge bei einem Investmenthorizont von 10 Jahren Das
gleiche galt, wenn man eine langfristige Aktienanlage in den 1950er
Jahren tätigte, als Mainframe-Computer und die Nutzung der
Kernenergie wichtige Innovationen waren.
Unterdurchschnittlich waren die langfristigen Aktienerträge dagegen
nach der Erfindung des Telefons (1876), der Einführung von
Elektrizität in den Städten der westlichen Welt (1882), der Erfindung
des Automobils (1886), der Flugzeuge (1903)des Radios (1920)
oder der ersten Kunststoffe (frühe 1930er Jahre). Nach der Erfindung
der Dampfmaschine (1781), der Eisenbahn (1825) und der modernen
Stahlproduktion (1850er Jahre) bot sich für langfristig orientierte
Investoren nur kurzzeitig eine attraktive Einstiegsgelegenheit am
Aktienmarkt. Langfristanleger, die etwas später kamen, erzielten
dagegen nur niedrige, mitunter sogar negative reale Erträge, so wie
z. B. auch Technologie-Investoren Ende der 1990er Jahre.
Wie ist das zu erklären? Zunächst ist nochmals zu betonen, dass
Innovation und Produktivitätswachstum nicht dasselbe sind. Zwar
kann jeder neue technologische Durchbruch zu höherer Produktivität
führen, doch ist dies möglicherweise nur mit einer erheblichen
Zeitverzögerung der Fall. Dies war die Erfahrung von Robert Solow
in den 1980er Jahren.
Des Weiteren können negative Auswirkungen die möglichen positiven
Folgen einer neuen Technologie auf die Produktivitätsentwicklung
überkompensieren. So haben z. B. die wichtigsten Innovationen
im späten 19. Jahrhundert erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts zu
einem nachhaltigen Produktivitätsschub geführt (wenngleich dann
für mehr als ein halbes Jahrhundert) während das letzte Viertel des
19. Jahrhunderts in vielen Ländern von einer langen Phase relativ
moderaten Wirtschaftswachstums geprägt war, die auch als „Lange
Depression“ (1873 bis 1896) bezeichnet wird. Überinvestitionen in
den 1860er und frühen 1870er Jahren, der Anstieg der Verschuldung
im privaten Sektor und die Entscheidung der USA, von einer auf Gold
und Silber basierten Währung zu einem reinen Goldstandard überzugehen
(1873), was faktisch eine Straffung des geldpolitischen
Rahmens bedeutete, belasteten die Produktivitätsentwicklung und
das Wirtschaftswachstum. Ab 1910 bzw. 1940 hemmten die beiden
Weltkriege die gesamtwirtschaftlicher Produktivität.
Aus der Investmentperspektive am wichtigsten ist schließlich, dass
die Bewertungsniveaus – wenig überraschend - eine Rolle spielen.
So war das zyklisch adjustierte durchschnittliche Kurs/Gewinn-Verhältnis
im S&P 500 Index Anfang des 20. Jahrhunderts besonders
hoch, nachdem eine mehrjährige Phase bedeutender technologischer
Innovationen vorangegangen war. Dasselbe gilt für das Ende
der „Goldenen 20er Jahre“, in denen es zu schwindelerregenden
technologischen Fortschritten (z. B. dem Radio) kam, ; die von einer
Hochkonjunktur geprägten 1960er Jahre („Go-Go-Years“), als vor
allem Technologieaktien im Kurs stiegen, ; die späten 1990er Jahren,
als die Technologieblase entstand und schließlich platzte, sowie die
Zeit unmittelbar vor der Finanzkrise (2007/2008). In allen diesen
Phasen zahlten die Investoren schlicht zu viel für das künftige
Wachstum, weshalb die anschließende Wertentwicklung ihrer Aktienanlagen
niedrig war, häufig (wenn auch nicht immer) aufgrund
verschärft durch gravierende Marktschocks oder Finanzkrisen
(1901,1929, 2000, 2007). Auch aktuell sind die zyklisch adjustierten
Kurs/Gewinn-Verhältnisse in den USA sehr hoch und ähneln denjenigen
im Jahr 1929. Dies deutet darauf hin, dass der Ertrag am breiten
Aktienmarkt in den kommenden 10 Jahren im historischen Vergleich
höchstwahrscheinlich niedrig ausfallen wird (keinesfalls zulässig
wäre aber die Schlussfolgerung, dass ein Kurssturz bevorsteht).
Angeführt wurde der Aktienboom in den letzten Jahren von den
populären neuen Technologietiteln Facebook, Amazon, Netflix,
Google/Alphabet (FANG-Aktien). Dagegen erwiesen sich Aktienanlagen,
die in Zeiten ohne wesentliche technologische Innovationen
erfolgten, z. B. in den 1940er oder 1980er Jahren, oftmals als sehr
profitabel. Dabei profitierten antizyklisch agierende Anleger von
niedrigen Aktienbewertungen.
"Zwar kann jeder neue technologische Durchbruch zu höherer Produktivität führen, doch ist dies möglicherweise nur mit einer erheblichen Zeitverzögerung der Fall."
C: Reale Aktienerträge auf Sicht von 10 Jahren in Großbritannien/Global bei einer Investition im Jahr
Quellen2: Allianz Global Investors, Bloomberg, Wikipedia, Federal Reserve Bank of St. Louis. Òscar Jordà, Moritz Schularick und Alan M. Taylor (2017) “Macrofinancial History and the New Business Cycle Facts.” in: NBER Macroeconomics Annual 2016, Band 31, hrsg. von Martin Eichenbaum und Jonathan A. Parker, University of Chicago Press; Macrohistory Lab, Universität Bonn;
Legende: Jahresenddaten außer für das Jahr 2017 (Stand: 21.09.2017). Globale reale Renditen: Durchschnitt der Länder AUS, BEL, CAN, CHE, DEU, ESP, FIN, FRA, GBR, ITA, JPN, NLD, PRT, SWE, USA;
Jahr bedeutender Innovationen (Näherungsangabe oder Jahr des ersten kommerziellen Einsatzes): Dampfmaschine (1775), Eisenbahn (1825), moderne Stahlherstellung (1855), Telefon (1876),
Elektrizität (1882), Automobil (1886), Funk (1920), Kunststoffe (frühe 1930er Jahre), Mainframe-Computer (1950er Jahre), Kernenergie (1954), PC (1974), digitales Mobiltelefon (1991), Internet
(1991), KI (ca. 2010)
Finanzkrisen oder ausgeprägte Korrekturen am Markt: UK, USA 1796/97, USA 1819, UK 1825, USA 1837, UK 1847, USA 1857, USA 1873 und lange Depression 1873-1896, Frankreich 1882,
Norwegen 1899, USA 1901, USA 1907, USA 1929 und Große Depression, USA 1937/38, USA 1987, Japan 1989, Skandinavien ca.1990, Asien/ Russland 1997/98, globale TMT-Blase 2000, globale
Finanzkrise 2007
Auch wenn technologische Innovationen demnach nicht notwendigerweise
ein gutes Vorzeichen für die Entwicklung des breiten
Aktienmarkt sind, heißt das nicht, dass Innovation für die Börsen
völlig irrelevant wäre. So haben wir zwei wesentliche Implikationen
identifiziert.
Interessant sind zum einen „disruptive“ Marktsegmente, die für
bahnbrechende technologische Innovationen stehen und sich
nach unseren Untersuchungen auf Sicht von 3,5, 10 und sogar 20
Jahren besser als der breite Markt entwickeln (siehe Grafik D).
Dazu analysierten wir die Wertentwicklung von US-Aktienmarktsegmenten,
die für technologische Innovationen seit dem späten
19. Jahrhundert stehen (Telefon, Elektrizität, Automobil, Fließbandfertigung,
Flugzeuge, Radio, Kunststoffe, Fernsehen, Computer, PC,
digitale Mobiltelefone, Internet, Künstliche Intelligenz). Natürlich
trifft dieses positive Fazit nicht für jeden Sektor und nicht jeden
Subsektor gleichermaßen zu; tatsächlich streuen die Ergebnisse
relativ stark. Beispielsweise entwickelten sich nach Vorstellung des
ersten kommerziellen PC Mitte der 1970er Jahre Softwareaktien
(vor allem Microsoft) weit überdurchschnittlich, während dies bei
Hardwarehersteller nicht der Fall war. Ebenso haben IT-Aktien nach
der Einführung des Internets und der digitalen Telefonie im Jahr 1991
vergleichsweise gut abgeschnitten, Titel von Telekommunikationsunternehmen
dagegen nicht. Hinzu kommt, dass die Outperformance
der Profiteure keine stetige Entwicklung war. So nehmen die Gewinnerwartungen
der Anleger einige Jahre nach einer Innovation
häufig ein übertriebenes Ausmaß an. Auf die damit einhergehenden
hohen Bewertungen in den begehrten Marktsegmenten folgten
dann Kursrückschläge.
Nichtsdestoweniger, haben, sofern historische Erfahrungen eine
Richtschnur auch am aktuellen Rand sind, Marktsegmente und
Unternehmen mit Bezug zu KI-Infrastruktur (z. B. Big Data, Internet
der Dinge, Cloud Computing), KI-Anwendungen (z. B. Robotik, Deep
Learning) sowie von Künstlicher Intelligenz profitierende Branchen
(z. B. Gesundheit, Transport, Automobile) gute Chancen auf eine
insgesamt weiterhin überdurchschnittliche Entwicklung, solange
die Bewertungen im Rahmen bleiben nicht übertrieben hoch sind.
Mit einem durchschnittlichen Kurs/Gewinn-Verhältnis von rund 30
erscheinen Technologieaktien aus den USA derzeit zwar nicht mehr
billig, aber im historischen Vergleich auch nicht überzogen teuer.
Tatsächlich wird das hohe Bewertungsniveau des US-Aktienmarkt
insgesamt von anderen Segmenten bestimmt, vor allem den Bereichen
Klassischer Konsum und Industrie.
D: Wertentwicklung von Segmenten des US-Aktienmarkts, die für neue Technologien stehen, in den Jahren im Anschluss an eine wesentliche technologische Innovation
Quelle: Allianz GI, Fama, Cowles, Datastream, Daten per 12/2017
Legende: Die Grafik zeigt Median, Durchschnitt, Minimum und Maximum des nominalen Mehrertrags gegenüber dem breiten US-Aktienmarkt von Sektoren, in denen wesentliche technologische
Innovationen stattfanden, auf Sicht von 1,3, 5,10 und 20 Jahren nach dem jeweiligen technologischen Durchbruch. Insgesamt wurden 13 technologische Innovationen seit dem späten 19. Jahrhundert
untersucht.2
Zum anderen wird der Innovationszyklus immer dynamischer –
beispielsweise dauerte es rund 100 Jahre, bis sich Eisenbahnen in
der Hälfte der Länder der Welt etablierten, während dies beim
Internet in weniger als 10 Jahren der Fall war (siehe Grafik E).
Folglich haben Anleger immer weniger Zeit, um die Auswirkungen
von Innovationen zu erfassen und die potentiellen Gewinner auf
Branchen- und Unternehmensebene zu identifizieren. Die vom
österreichischen Ökonom Joseph Schumpeter beschriebene
„schöpferische Zerstörung“ – heute Neudeutsch „Disruption“
bezeichnet – scheint weiter an Dynamik gewonnen zu haben. Das
spricht umso mehr für aktives Anlagemanagement.
E: Das Innovationstempo wird immer schneller: Ersteinsatz neuer Technologien
Quelle: D. Comin und B. Hobijn (2010) „An Exploration of Technology Diffusion“
Legende: Die y-Achse zeigt den Zeitraum in Jahren, bis in 50 % aller Länder die neue Technologie eingeführt war.
Antworten auf einen Blick
Was kennzeichnet die 4. Industrielle Revolution? | Ihr Hauptmerkmal ist die Verschmelzung von Technologien. Dabei lösen sich die Grenzen der digitalen, der physischen und der biologischen Sphäre zunehmend auf. Dieser Wandel ist so grundlegend, dass die Verheißungen nie zuvor größer waren - ebenso wie die potenziellen Gefahren. |
Offiziele Statistiken weisen seit den 1970er Jahren – mit kurzer Unterbrechung um die Jahrhundertwende – einen Rückgang der Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität auf. Wie kann das sein? | Technologische Innovation und Produktivitätswachstum sind nicht identisch. Optimisten gehen davon aus, dass die technologischen Innovationen über kurz oder lang zu höherem Produktivitätswachstum führen wird, sobald diese im grossen Stil ausgerollt sind. Andere Stimmen sind pessimistischer. Für eine signifikante Steigerung der Arbeitsproduktivität vermissen sie etwas Entscheidendes: eine neue Grundlagentechnologie. |
Wie wirkt sich die 4. Industrielle Revolution auf die Arbeitsmärkte aus? | Aktuelle Technologien werden voraussichtlich zwei Trends verschärfen, die sich seit den 1980er Jahren abzeichnen: die Automatisierung von Routinetätigkeiten auf der einen Seite und ein steigender Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern auf der anderen. Durch diese Entwicklung wächst das Risiko einer steigenden Einkommensungleichheit - ein idealer Nährboden für populistische Parteien und somit eine Gefahr für Wirtschaft und Kapitalmärkte. |
Welche Relevanz hat die Diskussion um die Produktivitätsentwicklung für die Kapitalmärkte? | Wenn technologische Innovation auch zu höherem Produktivitätswachstum führt, sollte sich dies positiv auf Aktien auswirken – so zumindest die Theorie. In der Realität trifft dies aber nicht immer zu: a) weil technologische Innovationen nicht stets auch mit höherem Produktivitätswachstum einhergen; b) weil andere Faktoren, v. a. Aktienbewertungen, den fundamentalen Zusammenhang überlagern können. |
Wie sollten Investoren reagieren? | Investoren sollten nach „disruptiven“ Marktsegmenten Ausschau halten, die für bahnbrechende technologische Innovationen stehen, und auf das Bewertungsniveau achten. Aufgrund von sehr dynamischen Innovationszyklen bleibt allerdings immer weniger Zeit, potenzielle Gewinner zu identifizieren. Daher ist ein aktives Anlagemanagement umso wichtiger. |
1) Zur Vertiefung: Rise and Fall of American Growth: The U. S. Standard of Living since the Civil War
2) Die frühere Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für künftige Ergebnisse.
Verwendete Literatur und Daten:
Allianz Global Investors: The Economics of Populism, 2017
D. Comin, B. Hobijn: An Exploration of Technology Diffusion, 2010
The Conference Board: Prioritizing Productivity, 2014
The Conference Board: Navigating the Digital Economy, 2016
Robert Gordon: Is US Economic Growth Over? Faltering Innovation Confronts the Six Headwinds, 2012
E. Brynjolfsson, A. McAfee: The Second Machine Age: Work, Progress, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies, 2016
C. B. Frey, T. Berger, C. Chen: Political Machinery: Automation Anxiety and the 2016 U. S. Presidential Election, 2017
C. B. Frey, M. A. Osborne: The Future of Employment: How susceptible are jobs to computerisation?, 2013
Òscar Jordà, Moritz Schularick, Alan M. Taylor: Macrofinancial History and the New Business Cycle Facts, in: NBER Macroeconomics Annual 2016,
Band 31, hrsg. von Martin Eichenbaum und Jonathan A. Parker, Chicago: University of Chicago Press, Macrohistory Lab, Universität Bonn
S. Nairn: Engines that Move Markets, 2002
Conference Board, Produktivitätsdatenbank
Cowles Data, Yale School of Management: gängige Aktienindizes
Fama/French: Datenbibliothek
Investieren birgt Risiken. Der Wert einer Anlage und Erträge daraus können sinken oder steigen. Investoren erhalten den investierten Betrag gegebenenfalls nicht in voller Höhe zurück. Die hierin enthaltenen Einschätzungen und Meinungen sind die des Herausgebers und / oder verbundener Unternehmen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und können sich – ohne Mitteilung hierüber – ändern. Die verwendeten Daten stammen aus unterschiedlichen Quellen und wurden als korrekt und verlässlich betrachtet, jedoch nicht unabhängig überprüft; ihre Vollständigkeit und Richtigkeit sind nicht garantiert und es wird keine Haftung für direkte oder indirekte Schäden aus deren Verwendung übernommen, soweit nicht durch grobe Fahrlässigkeit oder vorsätzliches Fehlverhalten verursacht. Bestehende oder zukünftige Angebots- oder Vertragsbedingungen genießen Vorrang. Dies ist eine Marketingmitteilung, herausgegeben von Allianz Global Investors (Schweiz) AG, einer 100%igen Tochtergesellschaft der Allianz Global Investors GmbH, die über Bewilligungen der FINMA (www.finma.ch) als Vertriebsträger sowie der OAKBV (Oberaufsichtskommission berufliche Vorsorge) zur Verwaltung von Vermögen der beruflichen Vorsorge verfügt. Diese Mitteilung genügt nicht allen gesetzlichen Anforderungen zur Gewährleistung der Unvoreingenommenheit von Anlageempfehlungen und Anlagestrategieempfehlungen und unterliegt keinem Verbot des Handels vor der Veröffentlichung solcher Empfehlungen. Die Vervielfältigung, Veröffentlichung sowie die Weitergabe des Inhalts in jedweder Form ist nicht gestattet.
Zusammenfassung
Das anhaltende Niedrigzinsumfeld erfordert von institutionellen Investoren neue Strategien, um die gesteckten Renditeziele zu erreichen. So kann die Erweiterung einer traditionellen Portfolioallokation um alternative Investments zu einer höheren risikoadjustierten Rendite, einer verbesserten Diversifikation und einer niedrigeren Marktsensitivität führen. Die konkrete Umsetzung bringt jedoch besondere Herausforderungen mit sich.